Foto: J. METZNER

Jede Stimme zählt

Im Atze Musiktheater kommt ein Kind an die Macht. Wir haben uns „Die Ministerpräsidentin“ angeschaut.

Langsam geht das Saallicht aus. Ein einzelner Scheinwerfer taucht die Bühne des Atze Musiktheaters im Wedding in ein gedämpftes Grün. Schemenhaft sind Gestalten zu erkennen, die alle einen Namen flüstern: Hannah.

Hannah Fredriksen ist zwölf Jahre alt und Hauptperson der Theaterinszenierung „Die Ministerpräsidentin“, die am Sonnabend Uraufführung feierte. Eigentlich ist sie ein ganz normales Mädchen – bis ihr Vater den Auftrag für eine neue Werbekampagne erhält. Hannah soll bei der nächsten Wahl für die Partei „Stimme der Zukunft“ als Ministerpräsidentin kandidieren.

Es dauert nicht lange, da ist das Mädchen in aller Munde, wird auf der Straße erkannt und von Reportern belagert. Im Vergleich zu all den anderen Politikern, die sich nur profilieren und gegenseitig ausstechen wollen und dabei alle das Gleiche und doch nichts Konkretes versprechen, fällt Hannahs erfrischend ehrliche Art positiv auf. An einen Wahlsieg glaubt trotzdem niemand so recht. Wer würde sich schon von einem Kind regieren lassen? Andererseits: Warum sollte das Wort eines Kindes weniger wert sein als das eines Erwachsenen? Und als Hannah dann tatsächlich gewählt wird, fängt das Abenteuer erst richtig an, denn die Jungpolitikerin stellt alles infrage.

Die Inszenierung basiert auf dem gleichnamigen Buch des norwegischen Autors Tore Tungodden. Auch wenn „Die Ministerpräsidentin“ in bester Musiktheater-Manier mit getanzten Abstimmungen und gesungenen Gesetzesänderungen daherkommt, wird der politische Hintergrund damit keineswegs ins Lächerliche gezogen. „Es ist so wichtig, auf Kinder und ihre Bedürfnisse einzugehen“, betont die Dramaturgin des Stückes, Göksen Güntel.

Überraschendes Wahlergebnis: Die zwölfjährige Hannah (links: Guylaine Hemmer) bringt als neue Ministerpräsidentin Schwung ins Parlament. Foto: J. METZNER
Überraschendes Wahlergebnis: Die zwölfjährige Hannah (links: Guylaine Hemmer) bringt als neue Ministerpräsidentin Schwung ins Parlament. Foto: J. METZNER

Die Figur der Hannah steht stellvertretend für den unvoreingenommenen Blick, mit dem Kinder die Welt betrachten, für ihre Direktheit und Ehrlichkeit. Diese Sicht auf die Dinge sollte man sich unbedingt bis ins Erwachsenenalter bewahren, meint Güntel. Dafür sei es aber notwendig, Kindern Politik und vor allem politisches Bewusstsein zu vermitteln. Sie sollten die Möglichkeit bekommen, schon frühzeitig Verantwortung für die Gesellschaft zu übernehmen – und erkennen, dass auch sie bereits etwas bewegen können. Aus diesem Grund spricht das Stück insbesondere Schulklassen an, die für das Thema sensibilisiert werden sollen. „Wir richten uns an ein Publikum im Alter von neun bis zwölf Jahren. Diese Kinder sind die Stimme der Zukunft“, betont Atze-Pressesprecher Tom Müller-Heuser.

Aber auch unter der Kuppel des Bundestages wurde man bereits auf die Inszenierung aufmerksam. Am 14. Februar debattieren Politiker mit Kindern und Jugendlichen unter anderem über die Möglichkeit eines Wahlrechts für Minderjährige. Wer weiß, was Hannah bei uns bewirkt.

Von Friederike Deichsler, 19 Jahre

„Die Ministerpräsidentin“ wird im großen Saal des Atze Musiktheaters aufgeführt. Karten kosten 9 Euro, Schulklassen zahlen 6 Euro pro Person. Mehr Informationen zu dem Stück und dem Spielplan unter www.atzeberlin.de

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„Wenn Sie Journalistin werden wollen, sind Sie in diesem Studiengang falsch“, hörte ich im ersten Semester nicht nur einmal. Trotzdem habe ich mittlerweile, mit 22, meinen Abschluss – und arbeite stetig daran, den Zweiflern das Gegenteil zu beweisen. Denn das Schreiben lasse ich mir nicht mehr wegnehmen. Es ersetzt für mich rauschzustandsauslösende Substanzen, es ist mein Ventil, wenn die Gedanken zu laut schreien und kein Platz für ekstatisches Tanzen ist. Schreiben kann ich über all das, wonach niemand fragt, was im Gespräch niemand von mir wissen will. Am spannendsten ist aber, anderen Menschen zuzuhören und ihre Geschichte zu erzählen.