Wurst oder Wohnung


wer mit aufs sofa will, braucht nerven. Toto: Fotolia/Edyta Pawlowska
wer mit aufs Sofa will, braucht Nerven. Foto: Fotolia/Edyta Pawlowska

Aufbruch in ein neues Leben: Der flügge Fritz will in eine WG ziehen. Auszug einer Odyssee


von Fritz Schumann, 21 Jahre


In Deutschland zieht man nicht in eine WG, weil man ein günstiges Zimmer braucht. Mit solch einer Einstellung lässt einen keiner in seine Bude rein. In Deutschland sind WG-Termine wie Bewerbungsgespräche. Vorm WG-Rat wird zwischen Blind-date und Casting geprüft, ob du interessant genug für den Einzug bist.


Ich bin anspruchslos. Eine Matratze, ein Tisch, und ich bin zufrieden. Dies machte viele potenzielle Mitbewohner skeptisch. Keine gute Ausgangssituation. Denn so gering meine Ansprüche an die WGs, so überaus hoch die der WGs an mich. „Die Chemie muss ja stimmen“, und „man sollte schon ähnliche Interessen haben“. Aha.


Als ich durch die erste Tür kam, streckten mir dort gleich drei der vier Bewohner die Hände zur Begrüßung hin. Alle kannten sich schon länger und bildeten den gemeinsamen Freundeskreis. Ein Gelegenheitsmodel, Ende 20, selbstbewusst, hatte das Zimmer zu vergeben. Hinter einem großen Bierglas erzählte sie von ihren Shootings und fragte mich, wie ich es denn mit dem Alkohol halte. Wenig, sagte ich, und zweifelnde Blicke gingen über das Glas zu ihrem Mitbewohner. Irgendwann stellte sich heraus, dass alle Anwesenden demnächst ins Ausland gehen wollten. Doch obwohl wir demnach nie zusammen wohnen würden, waren ihnen Gemeinsamkeiten äußerst wichtig. Man würde sich melden.


Die Bewohner der zweiten WG waren zwei Sportler und ein Sozialwissenschaftler. Relativ unbeeindruckt von meinen Referenzen fragte mich die Dame des Hauses, ihres Zeichens braungebrannte Sportstudentin mit Nebenjob im Freibad, nach meinen Hobbys. Ich schluckte. Sagte schnell noch den einzigen Sport, den ich tatsächlich sehr gern ausübe – Fahrrad fahren –, doch mit Blick auf meine Wampe kauften sie mir das wohl nicht ab. Nicht viel später folgte ein „du hörst von uns“, und ich ging durch die Tür.


In der nächsten WG traf ich auf Journalisten, drei davon. Journalisten sind privat das, was sie im Beruf sein müssen: betont selbstbewusst, ehrgeizig, direkt. Außerdem hektisch, gestresst und schnell. Die Damen nahmen mich ins Kreuzverhör, während der Kerl eine Zucchini in die Pfanne warf. „Ich bin Fotograf, schreibe aber auch“, sagte ich in der Vorstellungsrunde. Der Autor aus dem Printjournalismus quittierte es mit einem „Ach!“ und brutzelte weiter seine Zucchini. Es folgten provozierende Fragen mit verschränkten Armen. Ich erzählte, was ich suchte, und die Antwort war ein ablehnendes „das klingt aber nach Zweck-WG“. Woher die Erwartungshaltung kommt, mit dem neuen Mitbewohner gleich den neuen besten Freund zu rekrutieren, ist mir ein Rätsel.


Die entscheidende Frage aber war: „Bist du Vegetarier?“ Nein. „Wir sind aber alle Vegetarier, weil wir für die Welt sind.“ – „Heisst das, dass ich keine Wurst im Kühlschrank haben kann, selbst wenn ich sie in meinem Zimmer esse?“, fragte ich. Der Blick ging zur Zucchini und wieder zurück zu mir. Nein, war die kollektive Antwort. Also eine Entscheidung zwischen Wurst und Wohnung. Ich ging zur Tür. Und suche weiter.

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