Mann beim Autofahren
Einer unangenehmen Situation kann man im Auto nicht entkommen.
Die Erfahrung lehrt

Was tun, wenn die Mitfahrgelegenheit mit Vorurteilen um sich wirft?

Mitfahrgelegenheiten bringen uns unkompliziert und günstig von A nach B. Doch was tun, wenn der Fahrer auf halber Strecke seine Vorurteile auspackt und man dem Ganzen nicht entkommen kann?

Von Selly Häußler

Wenn ich in die Heimat fahre, nutze ich meistens eine Mitfahrgelegenheit. Zug fahre ich kaum. Damit die erschwinglich sind, müsste ich monatelang vorher buchen und zeitlich flexibel sein. Zudem können Mitfahrgelegenheiten sehr unterhaltsam sein und trotz sicherer Fahrweise schnell ans Ziel führen. Oder auch nicht. Denn man weiß nie vorher, wer da mit im Auto sitzt. Glücklicherweise musste ich noch nie um mein Leben fürchten. Das Problem waren eher die Gespräche.

Nach einer Fahrt von Hamburg nach Stuttgart blieben ein bitterer Beigeschmack und unterdrückte Wut im Bauch. Der Fahrer hatte munter über seine Exfreundinnen hergezogen und ihre ethnische Herkunft war Zentrum seiner vorurteilsbehafteten Argumentation. Die Türkin musste ihre Brüder bedienen. Die Ukrainerin wollte nie Geld von ihm. Die Afrikanerin – hier hielt er es nicht für nötig den Herkunftsstaat zu nennen – aber umso mehr. Und so seien sie natürlich alle. Als es um die Türkin ging, versuchte ich noch die im Hintergrund plärrende Schlagermusik zu übertönen und die Verallgemeinerung zu relativieren. Aber als sich meine Nebensitzerin bei dem Vorurteil zu Schwarzen Frauen zu mir drehte und fragte, ob das denn stimmt, blieb mir die Spucke weg. „Ja, Schwarze Frauen wie ich nehmen blonde Jungs wie den da gerne aus. Das ist unser liebstes Hobby“, hätte ich sagen können. Stattdessen stammelte ich etwas wie: „Ich weiß nicht, ich kenne nicht so viele…“

Es ist immer schwieriger, als Betroffene den Mund auf zu machen. Die Diskussionsgegner unterstellen oft mangelnde Neutralität. In so einer Situation kommt hinzu, dass man nicht entkommen kann. Es könnte risikoreich sein, fremde Leute vor den Kopf zu stoßen, mit denen man noch Stunden auf engem Raum zusammengepfercht ist. Doch Schweigen ist nicht immer Gold, das unangenehme Gefühl bleibt. Zumal: Wenn ich mich dann aber doch irgendwann dazu durchgerungen habe, noch etwas zu sagen, sind die Gesprächsthemen meist schon völlig andere. Der einzige Trost: Beim nächsten Mal sage ich früher etwas! So zumindest der Vorsatz.

Ja, wir haben alle Vorurteile. Aber ist es in Ordnung, auch noch andere davon überzeugen zu wollen?

Spreewild-Autorin Selly Häusler

Auf einer Fahrt von Berlin nach Stuttgart hatten wir eine kleine Berühmtheit im Auto. Ein YouTuber-Influencer-Fußballer unterhielt uns alle prächtig. Thema waren nicht nur seine Videos und beruflichen Ziele, sondern auch seine Familie und seine Exfreundinnen. Da der Fahrer eine polnische Frau hat, betonte der YouTuber mehrmals, dass polnische Frauen verschwenderisch mit ihrem Geld und vor allem dem Geld ihrer Männer seien. Er wüsste das, denn seine Mutter ist Polin.

Déjà-vu hin oder her, meine Reaktionsgeschwindigkeit war zugegebenermaßen nicht die beste. Aber nach ein paar Stunden und der dritten Wiederholung der These raffte ich mich endlich auf. Ich hatte schließlich Fragen:

  1. Wie definierst du polnische Frauen? Ist eine polnische Frau in Polen aufgewachsen, hat sie polnische Eltern oder die polnische Staatsbürgerschaft?
  2. Wenn du eine polnische Frau kennen lernst, kommt sie aufgrund ihrer Herkunft nicht in Frage? Ist das nicht diskriminierend?
  3. Ja, wir haben alle Vorurteile. Aber ist es in Ordnung, auch noch andere davon überzeugen zu wollen?

Die Erfahrung lehrt: Sobald wir selbst bemerken, dass es ein Vorurteil ist, sollten wir uns korrigieren. Es nicht in die Welt herausposaunen, sondern uns zurücknehmen und versuchen, jeden Menschen bewusst einzeln zu beurteilen. Wenn jeder von uns sich an die eigene Nase fasst, schaffen wir es vielleicht eine tolerante, friedliche und vielfältige Gesellschaft zu bauen.

Der Influencer selbst und die anderen Mitfahrer gaben mir übrigens in allen Punkten Recht. Also bitte, haltet nicht den Mund. Denn es besteht Hoffnung.

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