Margarethe schämt sich für ihre Altersgenossen. Statt ekstatisch rumzuhopsen, vergreist Berlins Jugend motorisch zunehmend auf der Tanzfläche.
Berlin vor einigen Tagen: In der Manege des Tempodroms drängeln sich überwiegend junge, weibliche Konzertbesucher. Viele von ihnen tragen bequeme Markenturnschuhe und haben sich Stoffturnbeutel auf den Rücken geschnallt. Wenn nicht zum Turnen, sind sie doch optimal ausgerüstet für das ekstatische Rumgehopse, das in der ausverkauften Halle durchaus erwartbar wäre. Tatsächlich bleibt die sportliche Kleidung nur täuschendes Kostüm.
Das Konzert beginnt und bald fließt heißer Band-Schweiß von der Bühne, gegen eine Infektion mit der Bewegungsfreude der Musiker ist das Publikum jedoch immun. Stattdessen hebt die Masse kollektiv ihre Arme. Aber anstatt wild zu klatschen, die Fäuste euphorisch in die Lüfte zu recken und sich die Haare zu raufen, werden bloß die Smartphones über den Köpfen positioniert. Verwackelte Bilder braucht niemand zu fürchten – es wackelt ja auch keiner. Viel eher konkurriert die Dynamik des Konzerts mit der Pullerpause einer Kaffeefahrt: Dicht gedrängt stehen die Leute nebeneinander und verlagern ihr Gewicht von einem Fuß auf den anderen. Als ein gefühlvoller Song erklingt, kommt dann doch überraschend Leben in die Herde der resoluten Tanzmuffel. Langsam, langsam entsteht aus den steifen Schultern in den Rängen eine schüchterne Bewegung – ein Schunkeln. Nun schäme ich mich wirklich für meine Altersgenossen.
Dass wir uns für den flächendeckend beliebten Vintage-Stil modisch von Kleidungsstücken aus Großmutters Zeiten inspirieren lassen, ist kein neues Phänomen. Ein Revival der Plattenspieler, gärtnern auf dem Balkon, Vorkriegsgedächtnisfrisuren, stricken – das Rentnerdasein zu antizipieren, ist bei den jungen Menschen von heute offensichtlich en vogue. Aber wieso erlebe und erleide ich in letzter Zeit auch die zunehmende motorische Vergreisung der Jugend auf den kleinen und großen Tanzflächen dieser Stadt? Wenn meine Oma zu Roger Whittaker über das Parkett fegt, fliegen definitiv mehr Funken als in manchem Szeneclub.
Noch habe ich die Ursache meines verstörenden Erlebnisses nicht ergründen können. Schieben wir es einfach auf den Montagabend. Schwere Mateflaschen im Rucksack, den Wetterumschwung. Und hoffen wir, dass keine chronische Krankheit daraus wird.