Ugur Elhan, Grigorij Ochotin, Visar Duriqi und Heba Ledwon (v. l.) kämpfen für Meinungsfreiheit und Demokratie. Foto: Monika Lawrenz

Gemeinsam die Zukunft aufbauen

Für Zivilcourage zahlt man in vielen Ländern einen hohen Preis. Vier Oppositionelle sprachen dazu im Max-Liebermann-Haus

Angesichts der aktuellen Gewaltausschreitungen gegen Flüchtlinge fordern viele: Mund aufmachen! Nicht tatenlos zusehen! Die Stimme erheben! Dass genau das in Deutschland so einfach möglich ist, ist ein Privileg, dem wir uns manchmal gar nicht bewusst sind. Auf der ganzen Welt gibt es Menschen, die diese Möglichkeit nicht haben, ohne sich selbst in Lebensgefahr zu bringen. Dennoch gibt es immer wieder Aktivisten, die bereit sind, dieses Risiko einzugehen. Vier von ihnen sprachen am Freitag auf einer Podiumsdiskussion im Max-Liebermann-Haus.

Die Veranstaltung wurde von der Freya von Moltke-Stiftung organisiert und richtete sich unter dem Motto „Was wir nicht verlieren dürfen“ vor allem an Jugendliche. 110 Schülerinnen und Schüler aus Berlin und Brandenburg hatten die Möglichkeit, den vier Podiumsgästen aus Ägypten, Russland, Kosovo und der Türkei Fragen rund um das Thema Zivilcourage, aber auch zu ihren eigenen Eindrücken von der politischen Situation in ihren Heimatländern zu stellen. Geleitet wurde die Diskussion von Moderatorin Sandra Maischberger.
Als erste betritt Heba Ledwon die Bühne. Die kleine, zierliche Frau trägt Jeans und ein weißes T-Shirt und hätte sich auch ohne aufzufallen unter die jugendlichen Zuhörer mischen können. Dabei führt sie seit elf Jahren einen Kampf gegen Menschenrechtsverletzungen und engagiert sich in ihrem Heimatland Ägypten und in Deutschland besonders für den Schutz der Frauen. „Demokratie lebt davon, dass wir alle etwas tun“, sagt sie. Dafür riskiert sie, bei der Einreise nach Ägypten verhört oder sogar verhaftet zu werden. Es ist ein hoher Preis, den die jungen Redner für ihr Engagement zahlen.

Ugur Elhan, Grigorij Ochotin, Visar Duriqi und Heba Ledwon (v. l.) kämpfen für Meinungsfreiheit und Demokratie. Foto: Monika Lawrenz
Ugur Elhan, Grigorij Ochotin, Visar Duriqi und Heba Ledwon (v. l.) kämpfen für Meinungsfreiheit und Demokratie. Foto: Monika Lawrenz

Visar Duriqi, kosovarischer Journalist, erhält wegen seiner Berichterstattung über Korruption und Islamismus regelmäßig Morddrohungen und ist wegen Verleumdung angeklagt. Mit dem Schreiben aufhören will er deshalb nicht, obwohl seine Chancen im Falle einer Gerichtsverhandlung schlecht stünden. „Korruption ist im Kosovo ein Stück Lebensstil“, sagt er. Nach Deutschland kam er als Gast der Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte. Dass er bei seiner Rückkehr in den Kosovo in Lebensgefahr schweben wird, merkt man ihm nicht an.
Neben ihm sitzt ein blasser junger Mann, Grigorij Ochotin, der in Russland ebenfalls als Journalist gearbeitet hat. Als Freunde von ihm plötzlich verhaftet wurden und er nirgends Informationen über sie bekam, wandte er sich von Schreiben ab. Es sei ihm zu passiv geworden, sagt er, es verändere nichts. Gemeinsam mit weiteren Journalisten und IT-Spezialisten gründete er OVD-Info und Data4Society. Die Online-Plattformen wollen der Bevölkerung Zugang zu unabhängigen Informationen gewähren. Für Probleme mit dem Staat sorgen dabei Sponsoren aus den USA.

Doch die Jugendlichen interessierten sich nicht nur für die persönlichen Schicksale und Projekte, sondern stellten auch Fragen zur Politik, zum großen Ganzen. So wurde über den möglichen Wahlausgang in der Türkei gesprochen, über Situation an der syrischen Grenze und den Ukraine-Konflikt. Und gerade, weil die Redner so viel Persönliches mit der politischen Situation verbanden, wirkten ihre Antworten authentisch. Niemand wurde mit einem ausweichenden Hinweis abgespeist, vielmehr waren die vier auch um Kritik nicht verlegen. Das verschaffte einen kleinen Einblick in das Räderwerk der Politik, das den Aktivisten immer dann Steine in den Weg legt, wenn sich die Staatsinteressen nicht mit denen der Organisationen überschneiden. Auf die Frage, ob sie sich von Deutschland als Staat genug unterstützt fühlen, antwortet Heba Ledwon zum Beispiel: „Ein Staat ist niemals mein Freund. Manchmal haben wir gemeinsame Ziele, manchmal nicht.“

Dass die Schülerinnen und Schüler später auch selbst einmal in der Lage sind, sich für ihre Ziele einzusetzen, dafür engagiert sich Uğur Elhan. Er leistet seit seinem Studium Freiwilligenarbeit und taucht dabei in Lebenswelten der Jugendlichen ein, um herauszufinden, wie man ihnen am besten helfen kann. Heute arbeitet er für verschiedene NGO´s, um die Situation von jungen Menschen zu verbessern und gleiche Möglichkeiten für alle zu schaffen. Denn – und da sind sich die vier einig – engagierte junge Menschen braucht es auch in Zukunft. Grigorij Ochotin meint dazu: „Es bringt nichts, sich die Zukunft vorzustellen. Wir müssen sie aufbauen.“

Von Friederike Deichsler, 19 Jahre

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„Wenn Sie Journalistin werden wollen, sind Sie in diesem Studiengang falsch“, hörte ich im ersten Semester nicht nur einmal. Trotzdem habe ich mittlerweile, mit 22, meinen Abschluss – und arbeite stetig daran, den Zweiflern das Gegenteil zu beweisen. Denn das Schreiben lasse ich mir nicht mehr wegnehmen. Es ersetzt für mich rauschzustandsauslösende Substanzen, es ist mein Ventil, wenn die Gedanken zu laut schreien und kein Platz für ekstatisches Tanzen ist. Schreiben kann ich über all das, wonach niemand fragt, was im Gespräch niemand von mir wissen will. Am spannendsten ist aber, anderen Menschen zuzuhören und ihre Geschichte zu erzählen.