Von Aniko Schusterius, 19 Jahre
Mittwochmorgen vor drei Wochen. Es herrscht Anspannung in den Klassenräumen der Berliner Oberschulen. Die angehenden Abiturienten sitzen vor den Abschlussklausuren ihrer dritten Prüfungskomponente. Eine Aufgabe mit dem Titel „Gebirgsflüge“ der Mathematikprüfung im Bereich Analytische Geometrie lautet: „In Punkt P ändert der Flugkapitän seinen Kurs und fliegt in Richtung Q. Bestimmen Sie eine Geradengleichung für den neuen Kurs.“
Die Aufgabenstellung erinnert stark an das Unglück vom 24. März, als eine Germanwings-Maschine in den französischen Alpen abstürzte. 150 Menschen starben, darunter Kinder und Jugendliche. Zahlreiche Lehrer und Schüler reagierten verärgert auf die Prüfungsaufgabe, unterstellten der Senatsbildungsverwaltung fehlende Sensibilität. Diese wiederum verteidigte sich: Bereits mehrere Monate vor der Prüfung würden die Aufgaben erstellt und kontrolliert, um sie anschließend zeitnah drucken zu können. Im Februar konnte niemand ahnen, dass sich im März eine derartige Tragödie ereignen würde.
Das Germanwings-Unglück bewegt Europa noch immer. Zu Recht. Doch darf nicht vergessen werden, dass es sich hier nur um eine Mathematikaufgabe handelt, in die nicht zu viel hineininterpretiert werden sollte. Das Austauschen ganzer Aufgaben ist nur gerechtfertigt, wenn psychische Folgen bei den Schülern zu befürchten sind.
Die Aufgabe hätte genauso gut lauten können: „Ein Auto kommt in Punkt F von der Straße ab und fährt in Richtung L. Bestimmen Sie eine Geradengleichung für die neue Fahrt-route.“ Hätten sich hier Schüler und Lehrer auch beschwert? Schließlich sterben in Deutschland jährlich Tausende Menschen bei Verkehrsunfällen.
Wäre die Mathematikaufgabe in der Abiturprüfung in Nordrhein-Westfalen aufgetaucht, womöglich sogar an jener Schule, die 16 Schüler und zwei Lehrer beim Flugzeugabsturz verlor, wäre eine neue Aufgabe gerechtfertigt gewesen. Sie in Berlin auszutauschen, damit Schüler sich nicht erinnert fühlen an ein Drama, das sie nur aus den Medien kennen, ist übertrieben.