„Ich sehe die Menschen hinter den Nachrichten“

Die 19-jährige Johanna arbeitet in einem Berliner Flüchtlingslager. Im Interview berichtet sie von ihrer Arbeit

Aus Kriegsgebieten kommen momentan sehr viele Flüchtlinge nach Berlin. Wo sie leben können und wie man sie am besten integrieren kann, ist eine der wichtigsten politischen Fragen zurzeit. Johanna Geisthardt, 19 Jahre, hat vergangenes Jahr ihr Abitur abgelegt und arbeitet nun mehrmals in der Woche in einem Flüchtlingslager der Stadtmission in Moabit. Im Interview erzählt die Jugendliche von dem Alltag dort.

Wie kommt man mit 19 dazu, in einem Flüchtlingslager zu arbeiten?

Das liegt bei uns sozusagen in der Familie. Mein Vater ist für die Stadtmission tätig und meine Schwester ehrenamtlich beim Landesamt für Gesundheit und Soziales, das auch für Flüchtlinge zuständig ist. Dadurch habe ich erfahren, dass Helfer dringend gesucht werden.

In den zwei Luftträgerhallen in Moabit, in denen Flüchtlinge während der ersten Tage in Berlin wohnen, gibt es auch Beschäftigungsmöglichkeiten für Kinder. Foto: RAUFELD/CORINNE WÜSTENBERG
In den zwei Luftträgerhallen in Moabit, in denen Flüchtlinge während der ersten Tage in Berlin wohnen, gibt es auch Beschäftigungsmöglichkeiten für Kinder. Foto: RAUFELD/CORINNE

Wie sieht das Lager aus?

Das ist eine riesige Traglufthalle, die 300 Flüchtlingen eine erste Notunterkunft bietet. Darin sind eine Küche, Sanitärkabinen, Ess- und Aufnahmebereiche, in denen wir die Dokumente prüfen, sowie viele Schlafkabinen, in denen die Menschen wohnen. Wir bieten ihnen Unterkunft für drei Nächte, danach ziehen sie in andere Einrichtungen. In Sonderfällen dürfen Flüchtlinge auch eine Woche bleiben.

Wie sieht dein Arbeitsalltag aus?

Ich bin im Housekeeping. Meine Hauptaufgaben sind, frische Wäsche bereitzuhalten und schmutzige zur Reinigung zu bringen. Zudem säubere ich die Kabinen und achte auf die allgemeine Hygiene. Aber im Grunde macht man auch Dinge, die nicht zum unmittelbaren Aufgabenbereich gehören. Wenn ich merke, dass es jemandem nicht gut geht, rufe ich einen Arzt. Wenn ich Zeit habe, rede ich einfach mit den Flüchtlingen. Morgens bekommen wir eine Liste mit Flüchtlingen, die auschecken. Wir
säubern ihre Kabinen für Neuankömmlinge. An manchen Tagen gehen 100 Leute, an anderen nur elf. Außerdem erkundigen wir uns bei der vorigen Spätschicht nach Auffälligkeiten und Problemen, aber alles in allem ist es ein sehr angenehmes Arbeitsumfeld.

In den zwei Luftträgerhallen in Moabit, in denen Flüchtlinge während der ersten Tage in Berlin wohnen, gibt es auch Beschäftigungsmöglichkeiten für Kinder. Foto: PAUL ZINKEN/DPA
In den zwei Luftträgerhallen in Moabit, in denen Flüchtlinge während der ersten Tage in Berlin wohnen, gibt es auch Beschäftigungsmöglichkeiten für Kinder. Foto: PAUL ZINKEN/DPA

Wie verständigst du dich mit den Flüchtlingen?

Natürlich gibt es eine Sprach-Barriere. Ich spreche Deutsch und Englisch, aber komme ich damit nicht weiter, versuche ich es mit Handund-Fuß-Kommunikation. Viele der Flüchtlinge sprechen Serbisch, Albanisch, Arabisch, aber auch Englisch. Irgendwie klappt es immer.

Gibt es eine Geschichte, die dich besonders berührt hat?

Ja, das war an einem meiner ersten Tage. Da kam eine Frau, die zehn Jahre mit ihren zwei Kindern in Italien gelebt hatte und dann nach Deutschland abgeschoben wurde. Sie war hochschwanger, und als sie ins Krankenhaus kam, wurden ihr ihre Kinder weggenommen. Sie kamen in eine Pflegefamilie, weil sie keine Patienten waren und deshalb nicht im Krankenhaus bleiben durften. Ich erinnere mich noch gut daran, wie sie mit ihrem zwei Tage alten Säugling kam und nach ihren Kindern fragte. Wir setzten uns mit dem Jugendamt in Verbindung, so konnten die Kinder zu ihr zurück. Außerdem war einmal ein Syrer hier, der uns als Ingenieur seine Hilfe anbot, falls wir sie bräuchten. Seine Familie war noch immer in Syrien und er wollte uns helfen.

Gibt es auch Probleme?

Das Verhalten ist sehr unterschiedlich. Durch die vielen Sprachen ist es schwer, sich zu verständigen. Viele der Flüchtlinge sind sehr gebildete Leute, Anwälte und Ärzte, die uns ihre Hilfe anbieten und sich so schnell wie möglich integrieren wollen, weil sie sich so hilflos vorkommen. Manche helfen uns bei den Kabinenrundgängen. Die wenigsten sind frech oder aggressiv. Viele sind zurückhaltend und müssen sich an das Umfeld gewöhnen.

Wie geht es den Flüchtlingen allgemein, wenn sie ankommen?

Krankheiten sind ein häufiges Problem. Wir hatten Fälle von Läusen und Krätze, die wir zum Glück schnell eindämmen konnten. In diesem Winter ist die Grippewelle besonders stark. Viele haben Fieber, aber das war vorauszusehen und kann gut behandelt werden.

Was nimmst du aus der Arbeit mit?

Das Thema Flüchtlingspolitik ist ja derzeit sehr groß in den Medien. Früher war das für mich nur eine Nachricht unter vielen, heute sehe ich die Menschen, die das betrifft.

Das Gespräch führte Corinne, 19 Jahre.

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