Erst retuschiert, dann vergessen

Cordula Kehr sieht einen Zusammenhang zwischen dem medialen und realen Verschwinden von Frauen. Foto: Privat

Von Cordula Kehr, 21 Jahre


Das Bild aus dem saudi-arabischen Ikea-Katalog 2013 könnte einer Werbekampagne zur Elternzeit für Väter entnommen sein. Es zeigt eine Badezimmerszene: Ein Vater trocknet gerade eines seiner Kinder ab, während sein etwas älterer Sohn auf einem Hocker steht und sich die Zähne putzt. Fortschrittlich möchte man meinen, gäbe es nicht dieses andere Bild aus einem europäischen Ikea-Katalog mit der gleichen Szene, nur dass links neben dem zähneputzenden Jungen seine Mutter steht.


Ich möchte an dieser Stelle nicht darüber nachdenken, ob dieses retuschierte Foto mit seinem nun möglicherweise alleinerziehenden Vater dem saudi-arabischen Familienbild entspricht. Auch möchte ich nicht Saudi-Arabien Prüderie vorwerfen. Immerhin hat ein für Ikea arbeitendes Franchise-Unternehmen vorbeugende Maßnahmen ergriffen, nicht etwa Saudi-Arabien etwas an einem bestehenden Katalog beanstandet.


Wenn ich die beiden Bilder ansehe, frage ich mich: Haben Bilder ein Gedächtnis? Wir sprechen immer wieder davon, dass Bilder in unser kulturelles Gedächtnis eingehen und dort gespeichert werden. Aber was ist mit dem einzelnen Bild? Ich würde gerne sagen, dass ich auf dem Werbebild für Saudi-Arabien eine Leerstelle sehe, dass die Raumaufteilung seltsam wirkt, dass die Abwesenheit der Frau im Bild erkennbar ist. Auf diesen Gedanken komme ich aber nur, wenn ich beide Bilder miteinander vergleiche. Ich selbst muss den Bezug herstellen, das Bild hat die Frau vergessen.


Ebenfalls vergesslich ist die mediale Aufmerksamkeit. Zwar ist die russische Punk-Band „Pussy Riot“ noch nicht vergessen, aber dass die Berufung der drei Musikerinnen nun verschoben wurde, und nur eine wieder frei kam, wissen vermutlich die wenigsten. Ganz real werden zwei Frauen verschwinden und in Vergessenheit geraten.


Vor einigen Wochen hat Ikea ein Bild von seiner russischen Homepage entfernt, auf dem mit Pussy Riot Solidarisierende auf Ikea Möbeln sitzen; sie tragen die für die Band typische Kopfbedeckung. Solange es Länder gibt, in denen Frauen ganz real verschwinden, darf man dieses Verschwinden nicht unterstützen, indem man sie von Bildern retuschiert.


Was haltet ihr vom Ikea-Aktionismus? Diskutiert mit!

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Kategorien Politik

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