Foto: Gerd Metzner

„Die Worte lutschen, bis sie kugelrund sind“

Mia gibt es seit fast 20 Jahren. Wir haben die ehemalige Berliner Schüler­band zum Interview getroffen

Das musikalische Gesicht der Berliner Band Mia hat sich seit der Gründung 1997 oft gewandelt. Inzwischen gibt es das sechste Album, die Tour läuft seit Freitag. Warum eng­lisch zu singen, für Mia keine Op­tion mehr ist und was die Band an Berlin nervt, haben uns Mieze, Andy, Gunnar und Bob im Interview verraten.

Seit Mai ist „Biste Mode“ auf dem Markt. Habt ihr einen Lieblings­song?
MIEZE: Mein Lieblingslied heißt wie das Album: „Biste Mode“. Es ist nicht nur das erste Lied, in dem ich berlinere, sondern es ist auch das ers­te, das so offensiv unseren Fans gewidmet ist. Es beschreibt die offenen Arme, mit denen wir als Band den Leuten begegnen. Gerade in diesen Tagen, wo es um offene Arme für Menschen aus aller Welt geht, ist das für mich noch ein viel wichtigerer und größerer Titel geworden. Der steht plötzlich für eine innere Haltung dem Leben und den Menschen gegen­über.

Eigentlich hätte das Album viel früher erscheinen sollen. Nach drei Viertel der Aufnahmen wart ihr aber unzufrieden, habt eine Pause eingelegt …
ANDY: Richtig, wir mussten zum ersten Mal in den sauren Apfel beißen und eine Album­veröffentlichung verschieben. Wir bereuen das aber nicht. Während der Pause haben wir die wichtigsten Songs für das Album geschrieben. Dadurch hat sich auch das Gesicht der Platte noch einmal entscheidend verändert.
MIEZE: Wir haben es als sehr befreiend empfunden, ab dieser zweiten Schreib­hälfte zu sagen: Ein Lied hat ein Bedürfnis, ein Lied muss frei sein, dann wächst es und dann wird es groß. Das schwingt in diesem Album mit. Die Anstrengung, die wir rein­gesteckt haben, kommt als Kraft wieder raus, wenn ich es höre.

Ihr singt deutsch. Eine bewusste Entscheidung, um den Fans näher zu sein?
MIEZE: Ich träume ja auf Deutsch, mein Herz spricht Deutsch. Wenn man sich in der Mutter­sprache begeg­net, erlaubt man eine Form von Nähe. Es hat etwas mit wachsendem Mut zu tun, diese Nähe zuzulassen. Ich habe schon zwischen­durch mal gedacht, dass Englisch der nächste große Schritt für Mia ist – und habe mich einfach geirrt. Hat gar nicht so viel Spaß gemacht, wie ich es mir in meiner Fantasie vorgestellt habe.
GUNNAR: Es geht beim Musik­machen auch darum, das, was einen beschäftigt, in Töne oder in Worte zu fassen. Bei diesen Gefühlen geht es um Exaktheit. In dem Augenblick, wo ein übersetzendes Moment dabei ist, ist das natürlich nicht mehr so exakt.
MIEZE: Je länger ich schreibe, umso mehr geht es mir wirklich auch um die Lust am Wort. Es macht mir einfach Freude, so ein Bild zu kre­ieren wie in „Hungriges Herz“. Die Worte zu lutschen, bis sie kugelrund sind.

Seit Freitag auf „Biste Mode“-Tour: Bob, Andy, Mieze und Gunnar (v.  l. ) von der Band Mia. Foto: Gerd METZNER
Seit Freitag auf „Biste Mode“-Tour: Bob, Andy, Mieze und Gunnar (v.  l. ) von der Band Mia. Foto: Gerd METZNER

Habt ihr ein Ritual vor jedem Konzert?
ANDY: Wir verbringen die letzte Stunde vor dem Konzert zusammen und fahren da wie ein Bob­fahrer die Strecke durch und regen uns damit wahrscheinlich auch gegenseitig auf. Wir bringen uns quasi auf Temperatur, um dann da rauszugehen und das Gefühl zu haben, jetzt passt es.
GUNNAR: Das ist wichtig für das Konzert. Wenn wir spielen, ergeben wir mit dem Publikum ein Karten­haus, bei dem jedes einzelne Element genau richtig ineinander greift, damit es steht. Und manchmal hat man eine ganz kleine Sekunde, in der man dieses Gebäude kurz betrachten kann.

Was nervt euch an Berlin?
GUNNAR: Da gibt es eine Menge Dinge, aber genau das ist eben Berlin.
MIEZE: Mit ist in den vergangenen Jahren aufgefallen, dass sich die Anzahl der Flaschensammler so ungefähr verzehnfacht hat. Und in den Nachrichten sehe ich, wie extrem die Gewalt geworden ist. Das hat nicht nur mit Berlin zu tun. Mit diesem Wandel, den wir als normal empfinden, kommen nicht alle mit. Für diese Menschen ist wenig Platz. Sie werden an den Rand geschoben. Innerhalb der Stadt wird versucht, heiles Leben zu erzählen. Wenn eine Gesellschaft das mit verschuldet, würde ich mir wünschen, dass sie auch mit auffängt. Und das sehe ich gerade nicht. Es ist weniger sozial geworden. So viele Jugendklubs stehen leer, das ist unglaublich. Wir haben noch in Jugendklubs geprobt, das war ganz normal. Das fehlt mir in der Stadt und im Stadtbild. Das soziale Moment.

Interview: Friederike Deichsler, 19 Jahre

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„Wenn Sie Journalistin werden wollen, sind Sie in diesem Studiengang falsch“, hörte ich im ersten Semester nicht nur einmal. Trotzdem habe ich mittlerweile, mit 22, meinen Abschluss – und arbeite stetig daran, den Zweiflern das Gegenteil zu beweisen. Denn das Schreiben lasse ich mir nicht mehr wegnehmen. Es ersetzt für mich rauschzustandsauslösende Substanzen, es ist mein Ventil, wenn die Gedanken zu laut schreien und kein Platz für ekstatisches Tanzen ist. Schreiben kann ich über all das, wonach niemand fragt, was im Gespräch niemand von mir wissen will. Am spannendsten ist aber, anderen Menschen zuzuhören und ihre Geschichte zu erzählen.