René Heise, 17 Jahre, aus Friedrichshain fragt: „Für mich käme ein zölibatäres Leben nie infrage. Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand zu irgendeinem Zeitpunkt entscheiden kann, nie verheiratet sein oder mit jemandem zusammenleben und nie Kinder bekommen zu wollen. Ist das Zölibat überhaupt zumutbar?“
Herr Höff: Zölibat heißt wörtlich „allein leben“ und bedeutet gewollte Ehelosigkeit im Gegensatz zu einem ungewollten Single-Dasein.
Doch warum sollte jemand so leben wollen, und wie kann man diese Lebensform für andere einfordern? Die Frage, ob die Verpflichtung zum Zölibat für katholische Priester erhalten oder abgeschafft werden sollte, wird gerade wieder heftig diskutiert. Welche Gründe gab es für die Festlegung des Zölibats, und sind diese noch tragfähig?
Neben völlig unsinnigen Begründungen, etwa der der kultischen Reinheit, und zeitlich überholten Gründen – wie die seinerzeit übliche Ämtervererbung auf die Söhne – ist die Vorstellung einer charismatischen Ehelosigkeit als Begründung weder unsinnig noch zeitgebunden. Doch was ist charismatisch? Der Begriff wird in vielen Bereichen (Religion, Politik, Soziologie und anderen) verwendet und bedeutet eine besondere Befähigung, die nicht aus Anstrengung oder Lernerfolgen resultiert, sondern einen Menschen ohne nachvollziehbaren Grund auszeichnet. Bekanntestes Beispiel dafür ist eine künstlerische Begabung, denn mit noch so viel Bemühung kann die Fähigkeit eines Komponisten oder Dichters nicht erworben werden.
Das Gleiche gilt für das Charisma der Ehelosigkeit. Sich einer Aufgabe so intensiv zu widmen, dass für Partner und Familie kein Platz bleibt beziehungsweise durch das Leben und Wirken in einer Gemeinschaft die existenzielle Erfüllung zu finden, die andere in der ehelichen Partnerschaft haben, kann niemand aus ideologischen Gründen anstreben, wenn das nicht seiner natürlichen Lebensweise entspricht. Andererseits ist zu beobachten, dass gerade solche Charismatiker mit den Anforderungen von Ehe und Familie überfordert sind und darin gründlich versagen.
Charismatiker der Ehelosigkeit sind deshalb durchaus für das Amt eines katholischen Priesters geeignet. Nur gibt es davon so viele, dass alle Ämter damit besetzt werden können? Nein, natürlich nicht. Statt diesen Sachverhalt bei der Ämtervergabe zu berücksichtigen, wie es in anderen christlichen Kirchen üblich ist, wird in der katholischen Kirche an der Verpflichtung zum Zölibat festgehalten. Damit jedoch wird das Charisma pervertiert: Ehelosigkeit bedeutet für einen vermutlich großen Teil der Kleriker nicht mehr existenzielle Erfüllung, sondern einen schwer zu leistenden Verzicht. Der Versuch, sich das nicht gegebene Charisma quasi abzuhungern, erzeugt deformierte Persönlichkeiten, und die sind dann nicht mehr geeignet, die „frohe Botschaft“ zu verkünden.
Dein Manfred