Mit 100 Leuten in der S-Bahn aber engste Freunde nicht treffen? Das erscheint vielen paradox. Im Freundeskreis unserer Autorin herrscht Uneinigkeit, wie sich dieser Tage angesichts der Kontaktbeschränkungen noch zu verhalten ist. Was es jetzt braucht ist mehr Toleranz.
Von Tamina Grasme
Die Kontaktbeschränkungen sollen bundesweit weiterhin bestehen bleiben, so der Bund-Länder-Beschluss vom 26. Mai. Demnach sollen wir bis Ende Juni unsere Kontakte auf ein Minimum beschränken und Abstands- und Hygieneregeln einhalten, wenn wir uns erlaubterweise mit Personen eines zweiten Haushalts treffen. Erfreut können also jene sein, die in einer 6er-WG wohnen und andere große Wohngemeinschaften kennen. Für alle anderen gestalten sich die sommerlichen Juni-Tage daher noch eher einsamer. Es sei denn, Freunde oder Bekannte halten sich nicht an die Beschränkungen und treffen sich trotzdem.
Treffen oder nicht? Im Freundeskreis herrscht Uneinigkeit
Zugegeben: Als jemand, der zwar viel Fahrrad fährt, aber trotzdem regelmäßig S-Bahn oder Bus nutzen muss, erscheinen mir die Kontaktbeschränkungen im privaten Bereich doch sehr paradox. In die S-Bahn darf ich mich also mit 100 anderen Fahrgästen quetschen, aber ich darf nicht mit zwei Freunden aus zwei verschiedenen WGs an der frischen Luft ein Picknick machen? Vielen Freunden geht es ebenso – sie wollen sich jetzt wieder „ganz normal treffen“. Andere halten sich immer noch strikt an die Beschränkungen und haben nur zu ein, zwei Personen außerhalb ihrer WG-Kontakt. Nichtsdestotrotz fahren sie S-Bahn und gehen einkaufen, kommen also natürlich mit deutlich mehr Menschen unfreiwillig in Kontakt. Aus diesem Grund kann ich ihre Entscheidung zwar nicht logisch nachvollziehen – gerade weil es einigen mental nicht gut geht mit der Selbstgeißelung – akzeptiere sie aber. Meiner Meinung nach bringt es gerade in dieser Situation nichts, sich auch noch mit den Freunden über die persönliche Auslegung der Kontaktbeschränkungen zu zerstreiten. Jeder nach seiner Fasson, das sagte bereits Friedrich der Große. Wir sollten sowohl akzeptieren, wenn jemand keinen Kontakt zu niemanden haben möchte und im Gegenzug aber auch diejenigen, die dringend wieder ein anderes Gesicht in live und Farbe sehen wollen.
Toleranz als Nachenliebe
Wo zu Beginn der Krise Abstand als Nächstenliebe gepriesen wurde, sollte deswegen die Toleranz nun hinzukommen. Denn sind wir mal ganz ehrlich: Ich kenne niemanden, der sich momentan mit 20 teils fremden Leuten zum Wochenend-Rave über Telegram verabredet. Stattdessen machen die meisten, so wie auch mein Freundeskreis, gemeinsam Radtouren, Picknicks am Paul-Linke-Ufer oder Brettspielabende in der WG-Küche. Bei letzterem, der einzigen Aktivität im geschlossenen Raum, können sowieso nur maximal sechs Personen anwesend sein – mehr können nämlich nicht mitspielen. Und hierzu werden auch keine Fremden eingeladen, sondern die gleichen sechs Leute, die schon vor Corona die gleichen Figuren übers gleiche Spielbrett geschoben haben – zumindest bei uns. Keiner weiß wie lange wir noch mit diesen Einschränkungen leben müssen. Feststeht aber für mich, dass sie kein Grund sind, sich mit Freunden zu zerstreiten.