Einkaufstüte
Schätzungsweise jede sechste Onlinebestellung wird zurückgeschickt. Ein großer Teil davon landet im Müll.

Was passiert eigentlich tatsächlich mit unseren reklamierten Klamotten?

Weltweit werden tonnenweise Waren vernichtet. Spreewild-Autorin Maleen hat recherchiert, warum das so ist – und wurde dabei immer wieder wütend. Vermeintliche Recycling-Programme entpuppten sich als Greenwashing. Aussagen der PR-Abteilung widersprachen denen der Verkäufer. Wird daran die gerade verabschiedete Obhutspflicht für Händler etwas ändern?

Von Maleen Harten

Vor ein paar Wochen habe ich meine absolute Lieblingsjeans in einem Laden auf der Friedrichstraße gekauft. Meine erste wirklich teure Hose. Doch die 100 Euro waren jeden Cent wert, wie ich anfangs dachte. Ständig wurde ich auf diese Hose angesprochen und naja, alles fühlte sich gut an. Bis zur ersten Wäsche. Die Jeans hatte erheblich an Farbe und auch ihre schöne enge Form verloren – ich reklamierte sie und bekam eine neue. Während ich an der Kasse wartete, kam ich mit der Verkäuferin ins Gespräch. Was nun eigentlich aus der Hose wird, fragte ich, und aus all den anderen Klamotten, die zurückgegeben werden. Wird doch sicher recycelt, nahm ich an.

Tatsächlich hatte ich mich vorher nie wirklich mit dieser Thematik beschäftigt. Irgendwann hatte ich mal von dem Recycling-Programm von H&M gehört, bei dem Kund*innen gebrauchte Kleidung in den Shop bringen und dafür einen Rabattgutschein erhalten. Ich war seitdem davon ausgegangen, dass diese Altkleider – genau wie reklamierte und retournierte Artikel – tatsächlich „wieder getragen und wiederverwendet“ würden, so wie es im Jingle, der in den H&M-Läden in Dauerschleife läuft, behauptet wird. Wie falsch ich damit lag, erzählte mir nun die Mitarbeiterin. „Die Hose werfen wir jetzt weg“, sagte sie. Eben erst hätten sie einen völlig makellosen Mantel in den Abfall geben müssen, weil eine Kundin ihn reklamiert habe. Der dürfe nicht wiederverkauft werden. Das schrieben die Richtlinien eben so vor.

Das Recycling-Programm als profitables Geschäft?

Laut des schwedischen Modekonzerns H&M – zu dem auch Cos, Weekday, Monki, Cheap Monday und & other Stories gehören – werden die Altkleider, die seit 2013 im „Garment Collecting-Programm“ gesammelt werden, als „Second-Hand-Ware auf der ganzen Welt verkauft“, zu anderen Produkten verarbeitet oder zu Dämm- und Isolierstoffen reycelt. Aber stimmt das? Die Greenpeace-Expertin Kerstin Brodde bleibt skeptisch. Sie vermutet, dass 2017 lediglich 0,5 Prozent der bei H&M abgebenen Altkleider wirklich zu neuen Fasern und Kleidungsstücken verarbeitet wurden. Weil aus dem Rest der Sachen höchsten Putzlappen entstehen, müsse dies eher als „Downcycling“ und nicht als „Upcycling“ bezeichnet werden, so Brodde.

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Zusätzlich verdient der H&M-Konzern am Weiterverkauf der Altkleider an das kommerzielle Unternehmen „I:collect“. Dass die Kund*innen für ihre alten Kleider mit Rabattgutscheinen belohnt werden, wird auch kritisch gesehen. Es ginge H&M nur darum, sie als neue Käufer zu werben, sagen Kritiker. Der einzige Kreislauf, der hier geschlossen wird, scheint der Konsum-Kreislauf zu ihren eigenen Gunsten zu sein. Dies kritisierte im vorigen Jahr auch der norwegische Konsumentenschutz, der dieses Recycling-Programm als „irreführendes Marketing“  und als „Greenwashing“ bezeichnete.

Eine zerschnittene Jogginghose deckt den Irrsinn auf

Ähnlich unklar ist die Zukunft der Produkte, die aufgrund von Retouren oder Reklamationen (wie meine schwarze Jeans) in die Läden zurückkommen. Ich fragte bei den Mitarbeiter*innen der H&M-Läden herum und hörte, dass die Reklamationen scheinbar gesammelt und an einen obskuren Ort gebracht werden, den aber offenbar keiner kennt. Laut Jennifer Kaz, der Pressesprecherin von H&M, würden intakte Produkte „in Form von Spenden an Wohltätigkeitsorganisationen“ weitergegeben werden oder an „externe Dienstleister“ gehen, die diese recyceln. Ähnlich äußert sich Weekday. Eine Zerstörung sei „keine Option“. Doch eine weitere Verkäuferin der H&M-Gruppe sagt auf mein nachfragen: „Wir werfen das alles weg. Zum Roten Kreuz kommt nichts. Sicherlich auch nicht in den anderen Läden.“

Im April 2011 wurde diese umstrittene Methode, retournierte Stücke wegzuwerfen bzw. zu zerstören, erstmals einer größeren Öffentlichkeit bekannt, als die US-amerikanische Zeitung „Tampa Tribune“ über einen Fall bei der Modekette Victoria’s Secret berichtete. Eine Kundin hatte eine Jogginghose für 70 Dollar zurückgegeben und wurde Zeugin, wie die Verkäuferin die Hose vor ihren Augen zerschnitt. Als sich die Kundin deshalb beim Storemanager beschwerte, bekam sie zu hören, dass das eben die „Policy“ des Ladens sei. Retournierte Ware könne nicht weiterverkauft werden. Nur, so der Manager, solle das Zerstören der zurückgebrachten Ware natürlich nicht vor den Kund*innen passieren. Uppsi.

Der Markt ist überschwemmt

Noch düsterer sieht es im Onlinehandel aus, wo fast die Hälfte der bestellten Kleidungsstücke wieder zurückgeschickt wird, so ein Bericht der Tagesschau vom 12. Juni 2019. Aus einer aktuellen Studie der Universität Bamberg geht hervor, dass ganze 4 Prozent der retournierten Waren – was in etwa jährlich 20 Millionen Artikeln in Deutschland entspricht – vernichtet werden. Von diesen Retouren werden nur 1 Prozent an gemeinnützige Organisationen gespendet. Dabei könnten mindestens 40 Prozent der retournierten Waren gespendet werden, wie es in der Pressemitteilung der Uni Bamberg vom 9. Oktober 2019 zur oben genannten Studie heißt. Warum also wird das nicht getan?

Laut einer ehemaligen „& other Stories“- Verkäuferin dürften sie gar nicht spenden, weil sie diese Ware intern nicht abschreiben könnten, vernichtete Ware hingegen schon. Dem widerspricht der Pressesprecher vom Bundesumweltministerium und versichert, dass es kein Spendenverbot gäbe. Es sei den meisten Unternehmen nur einfach zu aufwendig, passende Spenderorganisationen zu finden und die Vernichtung wäre schlichtweg billiger und unkomplizierter. Zudem, so Gero Furchheim, Präsident des Bundesverbandes E-Commerce und Versandhandel im Deutschlandfunk, müsste eine Mehrwertsteuer für gespendete Ware gezahlt werden, wodurch es für Unternehmen nicht rentabel genug sei in Deutschland zu spenden. Hinzu kommt, dass der Markt insgesamt so überschwemmt sei, dass Hilfsorganisationen keine Waren mehr annehmen würde, so eine Verkäuferin.

Fast Fashion und Warenvernichtung

Denn ein weiterer Grund für die Vernichtung von Waren im großen Stil ist die generelle Überproduktion von Kleidung. Die sogenannte Fast Fashion bezeichnet die erhöhte Zahl von neuen Kollektionen in immer kürzerer Zeit: Modetrends wechseln sich innerhalb weniger Wochen ab und Artikel verlieren rasend schnell ihren Wert. Kleidung ist längst zu einem Abfallprodukt, einem schnell verramschten Wegwerfartikel verkommen. Ein gruseliger Kreislauf. Die Folge ist, dass nicht mehr nur Altkleider und gebrauchte Artikel, sondern auch unverkaufte Neuwaren, die bereits „last season“ sind, weggeworfen werden.

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Im Oktober 2017 recherchierte der dänische Nachrichtensender TV2, dass H&M im Jahr zuvor insgesamt 19 Tonnen neue Kleidung, sogenannte „left-over-products“, in Dänemark und Schweden verbrannt hatte. Und auch bei Edelmarken, wie dem britischen Traditionsunternehmen Burberry schien dies lange Zeit gängige Praxis zu sein. So geriet Burberry 2018 in die Kritik, weil dort 32 Millionen neuwertige Waren verbannt worden waren.

Aus einer NDR-Recherche von Dezember 2019 geht hervor, dass in einem niedersächsischen Amazon-Lager in der Vorweihnachtszeit ein bis zwei Mal pro Woche Container mit unbenutzter und nicht versendeter Neuware abgeholt und zur Müllverbrennungsanlage gebracht wurden. Denn, so die traurige Wahrheit, dies spart den Händlern die Kosten für die Lagerung und ist unkomplizierter als zu spenden.

Kann ein neues Gesetz die Situation nun verändern?

Dies soll sich nun ändern. Am 12. Februar wurde einem Gesetzentwurf zugestimmt, nach dem im bereits bestehenden „Kreislaufwirtschaftsgesetz“ eine sogenannte „Obhutspflicht“ für Waren eingeführt werden soll. Dies würde Händler*innen in Zukunft die Vernichtung von retournierter Ware aber auch von unverkaufter Neuware verbieten. Auch das Spenden soll durch dieses Gesetz vereinfacht werden, weil die Händler*innen hier von der Umsatzsteuer befreit werden sollen. Aus einer Pressemitteilung des Bundesumweltministeriums vom September 2019 geht hervor, dass Unternehmen und Konzerne somit künftig ihre „Überhänge und Retouren nur noch dann vernichten dürfen, wenn dies zum Beispiel aus Sicherheits- oder Gesundheitsgründen notwendig ist. Leicht beschädigte Ware kann zum Beispiel zu herabgesetzten Preisen verkauft oder gespendet werden.“

Die Konsequenz müsste also auch sein, dass die Läden anders planen und weniger bestellen. Doch wird das funktionieren? Und wie wirkungsvoll wird dieses Gesetz sein, welche Schlupflöcher werden bleiben? Bislang wirkt es eher wie eine Utopie.

Anfang des Monats hat übrigens Cos seine zweite „Restore Collection“ vorgestellt. Diese Kollektion besteht aus Cos-Kleidungsstücken, die kleinere Mängel wie kaputte Reißverschlüsse und Gebrauchsspuren aufwiesen und in Zusammenarbeit mit dem „Renewal Workshop“ repariert wurden. Rund 800 dieser Artikel werden nun für einen geringeren Preis in ausgewählten Cos-Shops in Europa (in Berlin im Cos-Shop auf der Friedrichstraße) und den USA verkauft. Ob die Kleidungsstücke reklamierte Ware oder Neuware mit Fehlern sind, bleibt unklar.

Und was hat das alles mit mir zu tun?

Inwiefern die Unternehmen ihrer neu auferlegten Obhutspflicht nachkommen, bleibt abzuwarten. Fest steht aber: Würden wir nicht so viel konsumieren, gäbe es dieses Problem nicht in diesem Ausmaß. Jeder sollte daher das eigenen Konsum-, Bestell- und Rückgabeverhalten überdenken und sich darüber klar werden, was er/sie selbst zu diesem Kreislauf beiträgt und ob man sich daran beteiligen will.

Zu empfehlen ist in diesem Zusammenhang auch die aktuelle Ausstellung „Fast Fashion: Die Schattenseiten der Mode“, die im Museum Europäischer Kulturen zu sehen ist.

Und diese Dokus wollen wir euch noch empfehlen:

The True Cost (Download für 9,99 $)

Gift auf unserer Haut (YouTube)

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