Marco Hischer in seiner Gemeindekirche
Marco in der Kirche seiner Gemeinde Am Lietzensee
Interview

Jung, schwul und gläubiger Christ – wie passt das zusammen?

Wird das Thema Homosexualität in deiner Gemeinde offen angesprochen? Zum Beispiel in Gottesdiensten?
Glücklicherweise wird das bei uns fast gar nicht thematisiert, weil es geradezu nicht notwendig ist. Zumindest in städtischen Kirchengemeinden, die tendenziell ja progressiver sind, ist der Konsens von vornherein, dass jeder Mensch gleich und gleich viel wert ist, und dass die sexuelle Orientierung keine hervortretende Rolle hat. Also so, wie ich es mir auch in der Gesellschaft eigentlich wünschen würde. Wir versuchen als Kirche einfach, keine speziellen Zielgruppen zu bedienen oder Linien zwischen Menschen zu ziehen.

Davon abgesehen gibt es aber auch in vielen Berliner Gemeinden queere Gruppierungen. Etwa Kirche positHIV, das ist eine ökumenische AIDS-Initiative der Kirche, oder die HuK (Homosexuelle und Kirche), die noch in repressiveren Zeiten entstanden ist. Es existieren schon verschiedene Angebote, die zum Teil schon lange bestehen. Dass die meisten evangelischen Landeskirchen in Deutschland progressiver werden, ist eher ein neueres Phänomen der letzten zehn bis zwanzig Jahre. Aber Bewegungen von unten aus den Gemeinden gab es schon vor vielen Jahren.

„Innerhalb der schwulen Community stoße ich auf viel Unverständnis aufgrund meines Glaubens.“

Hast du in der Kirchengemeinde und im gelebten Glauben jemals negative Erfahrungen aufgrund deiner Homosexualität gemacht?
Innerhalb meiner Kirche habe ich noch nie Diskriminierung erfahren. Das würden wahrscheinlich die wenigsten denken, doch ich habe immer nur Unterstützung erlebt. Innerhalb der schwulen Community dagegen stoße ich auf viel Unverständnis aufgrund meines Glaubens. Dort werde ich oft als der dargestellt, der blöd genug ist, an Gott zu glauben, der dem Papst vermeintlich folgt und wahrscheinlich auch wissenschaftsfeindlich eingestellt sein muss. Solche Stereotype werden dort leider ständig bedient. Daher ist es mir auch so wichtig mich einzubringen, damit die Leute mehr über neue theologische Auffassungen erfahren. Dass die Kirche ein Ort für alle sein kann.

Wird das Thema Homosexualität in der Bibel thematisiert? Wenn ja, wie?
Es gibt sehr queere Lesarten der Bibel. Und je nach Konfession gibt es ganz unterschiedliche Ergebnisse, zu denen man da kommt. Ein Beispiel: Fundamentale Christinnen und Christen etwa sind extrem nah am Wort. Die beziehen sich dann am liebsten auf eine Stelle im Alten Testament, in der es heißt: „Wenn ein Mann bei einem Manne liegt, so ist dies ein Gräuel.“ Dann kann man sich oft anhören, da stehe es doch schwarz auf weiß, Homosexualität sei eine Sünde und solle nicht sein. Dabei gibt es ganz viele Argumente, die dagegensprechen: Ein Gräuel ist zum Beispiel nicht gleich Sünde, also das was den Menschen von Gott entfernt, sondern vielmehr ein gesellschaftliches Phänomen. Etwas, das gesellschaftlich nicht akzeptiert ist. Und das war es damals nun mal nicht. Die Gesellschaft hat sich aber zum Glück verändert. Kurz hinter dieser Stelle steht dann zum Beispiel, dass wir keine Kleidung aus zweierlei Stoffen tragen dürfen. Auch ist im Alten Testament davon die Rede, dass eine Frau, die zum Tag ihrer Hochzeit keine Jungfrau mehr ist, zu Tode gesteinigt werden solle. Oder das Essen von Schalentieren unrein sei. All das halten wir heutzutage auch nicht ein. Konservative Christinnen und Christen neigen dazu, sich nur die Zeilen herauszupicken, die ihr eigenes Weltbild bestätigen, um alles Andersartige, was sie selbst ablehnen, zu eliminieren.

„Konservative Christinnen und Christen neigen dazu, sich nur die Zeilen aus der Bibel herauszupicken, die ihr eigenes Weltbild bestätigen.“

Was kann die Kirche für ein besseres Image bei jungen Leuten tun? Viele treten ja mit 18 Jahren aus, da sie keine Kirchensteuer zahlen wollen.
Das ist in der Tat richtig. Auf die Frage, was man tun kann, habe ich leider keine perfekte Antwort. Es gibt sehr viele Ansätze, von denen ich mir aber bei keinem sicher bin, ob er wirklich fruchtet. Wir versuchen als Gemeinde generell, Jugendlichen einen Raum zu geben, in dem sie sich entfalten können, in dem sie vielleicht auch ein bisschen Abstand vom Elternhaus haben. Und wenn die Jugendlichen sich darauf einlassen, ist schon sehr viel gewonnen.

Mein persönlicher Ansatz ist, dass ich als Christ authentisch bin, versuche ein gutes Vorbild zu sein und Vorurteile abzubauen versuche. Ich mache keinen Hehl daraus, dass ich in der Kirche sehr engagiert bin, aber auch zur queeren Community gehöre. Dass ich auf Partys gehe, auch gern in den KitKatClub, dass ich auch nicht auf Monogamie festgelegt bin und mich trotzdem jeden Sonntag von jahrhundertealten Kirchenliedern angesprochen fühlen kann. Dass sich diese zwei Welten ganz und gar nicht ausschließen. Mein Glaube greift eben nicht nur innerhalb der Institution Kirche, sondern immer und überall. Und widerspricht sich nicht damit, Spaß zu haben.

Das Interview führte Moritz Tripp, 24 Jahre

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