Auf der Zielgeraden

Ob 25-Kilometer-Strecke, nervige Konkurrenten oder das Abitur: Man kann alles überwinden. Foto: Raufeld

Jugendreporterin Marie trainierte für einen Marathon und dachte sich etwas dabei


Von Marie-Sophie Röder, 19 Jahre


Los geht’s. „Nur noch zweieinhalb Stunden“, denke ich sofort nach dem Start, während meine Füße nur langsam einen Schritt vor den anderen setzen. Vor mir tummeln sich meine Trainingspartner, die offenbar super gute Laune bei diesem quälenden Gedanken verspüren. „Du schaffst das schon“, beruhige ich mich. „Ich habe ja Musik dabei, da sind 25 Kilometer sicher schnell vorüber“, lüge ich mich selbst an.


Die ersten zehn Kilometer sind eine Tortur. Nicht, weil meine Muskeln schmerzen oder meine Lunge kapituliert – das spare ich mir für die letzten Kilometer auf. Es sind meine Mitstreiter, die mich um den Verstand bringen. Die mit den pseudowitzigen T-Shirt-Aufschriften wie „I’m a fit bitch“ und „Du holst mich eh nicht ein!“ scheinen immer genau vor mir zu laufen.


Strauchelnd bewege ich mich fort und versuche, meine Gedanken schweifen zu lassen. Das macht man ja so beim Laufen. Ich denke also an meine bevorstehenden Biologie-Klausuren. Man sagt, dass Stress beim Laufen nachlässt. Es sind wohl aber die ständigen Wippbewegungen des Körpers, die komplexe Gedankengänge über Neuronen und Aktionspotenziale nicht zulassen und meine Aufmerksamkeit unweigerlich auf simplere Dinge ziehen. So erfreue ich mich also an allem um mich herum.


Während ich an der Siegessäule vorbei und durch das Brandenburger Tor renne, sehe ich plötzlich ein Licht am Ende des Tunnels. Der Lauf ist zwar noch lange nicht vorbei, ich erkenne aber spontan einen Sinn in meiner Quälerei: Es ist für mich quasi die letzte Chance, Berlin noch einmal so intensiv zu erleben, bevor ich mich nach dem Abitur über alle sieben Berge mache. Über die Straßen der Hauptstadt zu rennen, ist meine ganz persönliche Liebeserklärung an meine Heimat. Mit dieser Überzeugung im Hinterkopf laufen sich die nächsten 15 Kilometer fast wie von selbst, das rede ich mir zumindest ein. Mit steifen Muskeln und einer rekordverdächtigen Rotfärbung im Gesicht bewege ich mich auf die Zielgerade zu und fühle mich wie eine wahre Heldin. Motiviert vom „Du holst mich eh nicht ein!“-T-Shirt vor mir, lege ich noch einen letzten Sprint hin. Und überhole doch.

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