Riten zum Reifen

von Vivian Yurdakul, 22 Jahre


Der Ritus ist zurückgekehrt. Nachdem immer weniger deutsche Jugendliche sich konfirmieren lassen und auch die Jugendweihe langsam aber sicher dem Zahn der Zeit zum Opfer fällt, feiert das Initiations­ritual in brandenburgischen Wäldern ein Revival. Ein Verein trifft sich mit ­Jungen im Alter zwischen 13 und 15 Jahren zu Lagerfeuerabenden im Wald, spricht mit ihnen über die Themen des Erwachsenwerdens und lässt sie anschließend 24 Stunden allein im Wald campieren, auf dass sie vom Jungen zum jungen Mann werden.


Das Bedürfnis nach einem festen Ritual, das den Übergang vom Kind zum Jugendlichen markiert, ist verständlich. Schade, dass die wenigsten von uns noch eins erleben. Das muss sich ändern. Allerdings werden es sich die wenigsten Berliner Jugendlichen antun wollen, eine Nacht in der brandenburgischen Pampa auf harten Wurzeln zu übernachten, während um einen herum Eulen und die gerade zurückgekehrten Wölfe heulen. Für Berlin braucht es hauptstadtkompatible Initiationsriten.


Da wäre zum Beispiel die Sache mit dem Beifahrersitz. Ab einem Alter von zwölf Jahren darf man im Auto neben Papa sitzen. Zu einem Ritual auf dem Weg des Erwachsenwerdens kann das werden, wenn man sie wie eine Thronbesteigung feiert. Mutti bekommt ihren Stammplatz dann erst wieder zurück, wenn der Zwölfjährige eines Tages selbst einen Führerschein besitzt.


Auch die langersehnte Entfernung der festen Zahnspange taugt zum Ritual. Kieferorthopäden, die in der Regel sowieso auf jugendliche Patienten eingestellt sind, könnten zur Feier des Tages einen Teller mit Speisen reichen, auf die der von der Zahnklammer befreite lange verzichten musste: ungeschälte Äpfel, klebrige Kaubonbons, faserige Steaks.
Nicht zuletzt lässt sich der erste Tag in der Oberstufe rituell begehen: Das erste legale Verlassen des Schulhofs in der Pause könnte von zur Feier des Tages singenden Lehrern mit wässrigen Augen begleitet werden.


Wer sich dennoch erst wie ein Mann oder eine Frau fühlt, wenn er oder sie eine Nacht auf hartem Boden mit unschöner Geräuschkulisse verbracht hat, kann einfach auf der nächsten Party seinen Schlafsack ausrollen.

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