Erika Lust
Erika Lust
Interview

Kein Porno ist auch keine Lösung

Erotikfilm-Regisseurin Erika Lust findet: Wer junge Menschen über Sex aufklärt, muss auch über Pornografie sprechen.

Mit ihren feministischen Filmen hat Erika Lust den Porno revolutioniert. Seit sie Mutter ist, sorgt sie sich auch um die Aufklärung junger Menschen. Deshalb hat sie mit ihrem Mann Pablo Dobner das gemeinnützige Projekt „The Porn Conversation“ (dt.: Das Porno-Gespräch) ins Leben gerufen.

Sie bieten Beratung für sexuelle Aufklärung von Kindern und Jugendlichen ab 11 Jahren an. Ist das nicht ein bisschen jung?
Es gibt kein „richtiges Alter“, um über Sex zu sprechen. Das sollte als ein angenehmer Teil des Alltagsgesprächs verstanden werden – und wenn Kinder noch jung sind, fragen sie wahrscheinlich ohnehin nach ihrem Körper, einschließlich der Genitalien, fragen, wie sie in den Bauch ihrer Mutter gekommen sind, oder sie werden neugierig, wenn sie eine schwangere Frau sehen. Wenn Eltern mit ihren Kindern nicht über Sex sprechen, dann also nicht aus Mangel an Gelegenheiten, sondern weil es ein Thema ist, über das Eltern nicht sprechen möchten. Vielleicht, weil sie nicht wissen, wie sie das Gespräch beginnen sollen, oder weil sie denken, dass ihre Kinder zu jung sind und sie sie „schützen“ wollen. Aber Schweigen ist auch Erziehung.

Ergo: keine Lösung. Gilt das auch für Pornos?
Selbst wenn es unangenehm ist, über Pornografie zu sprechen, müssen wir es tun. Pornografie wird niemals einfach verschwinden. Das Ignorieren macht die Sache nur schlimmer. Unabhängig von der Meinung der Eltern zu Pornos müssen sie darüber reden und erklären, dass Pornos gespielt sind, eine oftmals unrealistische Darstellung sind und kein Leitfaden für echten, emotionalen und sicheren Sex.

„Tabus schaffen Neugier“

Sex ist allgegenwärtig. Warum ist es 2018 immer noch so schwierig für uns, darüber zu sprechen?
Es ist paradox. Als Kinder lernen wir, dass Sexualität etwas Persönliches ist, das im Geheimen zu erforschen ist, mit Gefühlen wie Schuld und Scham. Aber wie wir alle wissen, schaffen Tabus Neugier.

Weshalb Kinder und Jugendliche früher oder später auf Porno-Seiten landen.
Diese Generation ist die erste, die mit Smartphones und unmittelbarem Zugang zum Internet aufwächst. Kinder und Jugendliche bekommen ihr Wissen über Sex nicht vorrangig in der Schule oder von ihren Eltern, sondern eher von kostenlosen Video-Plattformen. Die Art von Porno, die sie dort sehen, ist oft problematisch: gewalttätig, rassistisch, sexistisch und homophob, ohne Emotionen und Intimität. Auch die Geschlechterrollen, die da gezeigt werden, können für junge Menschen äußerst problematisch sein. Sie sehen dominanten Männern dabei zu, wie sie Frauen wie Sex-Maschinen qualvoll vögeln, bevor sie auf sie abspritzen, ohne um ihre Zustimmung zu bitten.

„Die Schulen versagen bei der Aufklärung“

Wie wäre es, Jugendlichen die Art von Porno anzubieten, die Sie produzieren? Quasi feministischer Porno als Aufklärungsmaterial.
Ich hänge an dem Gedanken, dass das Erwachsenenfilme für … Erwachsene sind! Genauso wie Thriller oder Zigaretten und Alkohol. Es gibt Dinge, die in einem bestimmten Alter nicht gesehen oder konsumiert werden sollten. Als Lehrmaterial würde ich einen „Soft Porno“ vorschlagen, in dem zwei Menschen zusammenkommen, um etwas Schönes zu machen: Liebe.

Warum richtet sich „The Porn 
Conversation“ eigentlich an Eltern? Wenn zum Beispiel Schulen diese Aufgabe übernähmen, bliebe vielen der ein oder andere peinliche Moment erspart.
Es ist wichtig, über Sex und Pornografie in einer anderen Umgebung als in der Schule zu sprechen. Zu Hause ist Raum für eine persönlichere und individuellere Kommunikation mit einem Erwachsenen, dem das Kind vertraut. Die Wahrheit ist außerdem, dass die Schulen bei dieser Aufgabe versagen. In der Regel geht es dort darum, wie Geschlechtsverkehr funktioniert, wie man ein Kondom anwendet und sich vor sexuell übertragbaren Krankheiten schützt. Versteht mich nicht falsch, das ist sehr wichtig, aber es ist nur ein Teil von Sex. Für Schüler, die weitergehende Antworten suchen, nach denen sie ihre Lehrer nicht fragen möchten, füllen dann Pornos die Lücken, die die Aufklärung in den Schulen offenlässt.

Das Interview wurde per E-Mail geführt. Die Fragen stellten Margarathe Neubauer und Leonie Schlick.

Hier sprechen Erika und ihr Mann Pablo über das Projekt – ab 12:15 spielen sie sogar eine „Porn 
Conversation“ nach:

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Beitragsbild: Lust Films

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Kategorien Gesellschaft Interview Spreewild

Schreiben ist meine Neurose. Ich mache das wirklich nicht freiwillig. An pathologischer Schreibwut leide ich etwa seit meinem neunten Lebensjahr. Heute bin ich 24. Sie äußert sich in der übermäßigen Produktion von Texten, dabei reagiere ich sensibel auf gute Geschichten. Schreiben ist mein Plüsch–Airbag gegen Schleudertraumata im täglichen Gedankenkarussell, Weckglas für klebrig-süße Memoirenmarmelade und die doppelte Aspirin am Morgen nach einem exzessiven Empfindungsrausch. Ich habe eine Schwäche für Präpositionen mit Genitiv, Schachtelsätze und Ironie. In die Redaktion komme ich nur, weil es da umsonst Tee gibt.