Margarete Stokowski
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Margarete Stokowski: „Man muss draufhauen“

Das Patriarchat fällt nicht von selbst. Aber es fällt. Darum geht es im neuen Buch der Feministin.

Körperbilder, Peniswitze, Privilegien – als Kolumnistin schreibt Margarete Stokowski über alles, was im Dunstkreis feministischer Diskurse die tagesaktuelle Großwetterlage bestimmt – zynisch, klug und mit der unverbrüchlichen Überzeugung, dass der strukturelle Ungleichheitsbullshit ein fehlproduziertes Auslaufmodell ist. Seit ihr Erstling „Untenrum frei“ zum Must-Read avancierte, ist die Autorin der Shootingstar des deutschsprachigen Feminismus. Stokowskis zweites Buch verheißt „Die letzten Tage des Patriarchats“. Aber wie lange ist es noch bis zu seinem Ende?

Der Titel klingt nach Zielgerade. Jedoch ist das Buch, eine thematisch geordnete Sammlung aus Kolumnen der vergangenen sieben Jahre, kein populärwissenschaftlicher Countdown zur ultimativen Gleichberechtigung. Stokowski dokumentiert Fortschritte sowie Rückschritte, schmunzelt dabei über ihre eigene Text-Evolution vom „lakonischen Hippie-Tagebuch“ zur scharfzüngigen Gesellschaftskritik.

Feminismus ist instagrammable geworden

In ihre analytischen Reflexionen mischt sich eigenes Erleben: Die Autorin druckt sexualisierte Hasskommentare mit ab, die sie von aufgebrachten Lesern erhalten hat. Dass ihr noch immer nicht der hochentzündliche Stoff für ihre Texte ausgeht, beweist einmal mehr, dass Feminismus nicht langsam „sooo 1977“ oder 2017 ist.

Mittlerweile ist da auch eine neue Komponente: der Trend-Faktor. Margarete Stokowski beobachtet die Skurrilitäten, die das allgemein sensibilisierte Bewusstsein für feministische Themen hervorgerufen hat. Etwa eine hochpolitische Lidschattenpalette, mit der selbst die Unsexiness des Labels „Feministin“ instagrammable wird, und Textilkonzerne, welche sich dank „Girlpower“-Schriftzügen auf ihren Plastikshirts aus dem kapitalistischen Karmakeller emporsolidarisieren wollen.

Trotz schwerwiegender Kritikpunkte ist Stokowskis Resümee ein positives: „Die Tatsache, dass Popkultur und Unternehmen kapiert haben, dass man damit Geld machen kann, beweist doch, dass da was los ist.“

Der Stoff geht Stokowski trotzdem nicht aus

Nichtsdestotrotz reiht sich auch noch in den „Letzten Tagen des Patriarchats“ eine alltagssexistische Anekdote an die nächste. Seien es journalistische Stilblüten, die zierlichen Frauen einen unterschwelligen Vorwurf der Inkompetenz machen. Sei es das Ding der Unmöglichkeit, im Baumarkt eine Arbeitslatzhose in Größe 38 zu erwerben, die nicht als spezielle Sonderanfertigung für das fachfremde Geschlecht deklariert ist.

Doch Margarete Stokowski bohrt verbal den Mittelfinger tief in die bereits geöffnete Wunde. „Das System fällt auseinander. Es fällt aber nicht von alleine, sondern man muss draufhauen“, sagt sie bei ihrer Lesung im ausverkauften Saal des Heimathafens Neukölln. Ihr Mix aus Witz und Wut bringt das Publikum zum Grölen, es feiert die Autorin wie einen Popstar. Die Standing Ovations für Margarete Stokowski sind vielleicht die Aussicht auf den ersten Tag nach dem Patriarchat.

Beitragsbild: Rosanna Graf

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Kategorien Gesellschaft Zwischendurch

Schreiben ist meine Neurose. Ich mache das wirklich nicht freiwillig. An pathologischer Schreibwut leide ich etwa seit meinem neunten Lebensjahr. Heute bin ich 24. Sie äußert sich in der übermäßigen Produktion von Texten, dabei reagiere ich sensibel auf gute Geschichten. Schreiben ist mein Plüsch–Airbag gegen Schleudertraumata im täglichen Gedankenkarussell, Weckglas für klebrig-süße Memoirenmarmelade und die doppelte Aspirin am Morgen nach einem exzessiven Empfindungsrausch. Ich habe eine Schwäche für Präpositionen mit Genitiv, Schachtelsätze und Ironie. In die Redaktion komme ich nur, weil es da umsonst Tee gibt.