Parfumflasche und Blütenblätter
Rosenduft?

Kurzgeschichte: Dann kommt der Duft

Manche Themen sind zu komplex für einen journalistischen Text. Dann bleibt die Möglichkeit, eine Geschichte zu schreiben. Diese hier handelt davon, wie Krankheiten die Wahrnehmung verändern …

Wasser perforierte sich druckvoll in die Luft. Erst zerstob es, dann drehte und wandte es sich durch den Äther und sank dann schwerfällig ab. Ein schwerer Hauch Patschouliduft trieb seine Bahnen. Abgesehen davon waren die anderen Gerüche verhältnismäßig neutral.

Hintergründig war ein Apfel geschnitten worden. Sein Saft verteilte sich sauer und ergänzte das Gesamtbild. Ein Lufterfrischer sprühte indes wütend und anarchisch seine Ladung gen Himmel. Widerstrebend schossen Gerüche links und rechts. Chemisch synthetisiert zerstörte er das Gleichgewicht. Abschließend atmete der geneigte Rezipient leichte Mengen Minze ein, erfrischte den Atem rückwirkend. Gegensätzlich neutralisierte die Minze den Lufterfrischer teilweise, heißt, der Lufterfrischer hatte seinen Zweck verwirkt.

Auf ein Mal fuhr eine Hand, mit Nagellack verziert, durch den Sprühnebel und verteilte ihn teils auf sich, teils im Raum. Tiefe Atemzüge untermalten den Vorgang, offenbar wollte der Mensch hinter der Hand alles aufsaugen, was ihm irgendwie möglich war. Das ist nachvollziehbar und wünschenswert, grundsätzlich. Nicht aber mit Krebs. Krebs ist ein Element, was jeden zwingt, alles so intensiv zu erleben wie man nur irgendwie kann, wenn man nicht von vornherein resigniert. Dahinter muss keine Traurigkeit stecken, wohl aber darin, dass man sich verpflichtet fühlt, das Leben anders zu nutzen und das nicht heraus aus ursprünglichen Umständen.

Eine farblose, klare Welt

Ohne Haare, mit einem in sich porös rumorenden Immunsystem und einer emotional zerrütteten Familie wirkt die Welt sowohl farblos als auch sehr viel klarer. Dinge brechen sich Bahn, die vorher versanken im Sumpf der Nichtigkeit und des kleinlichen Winkeladvokatismus. Der Geschmack des Wassers zum Beispiel wandelt sich in süßlich, weich über die Zunge gleitend und nicht so kühl, wie man es erwartete, als es die Poren umschloss und wenige Momente später ihre Knospen wieder freigab. Bisquit ist stringent zu überzuckert, kratzt zu stark an den Zähnen und sorgt für einen schrecklichen Mundgeruch, den man dann doch nur selbst riecht.

Irgendwann dann wird die Kleidung erst locker, dann formlos und dann sackartig, weil zum einen die Körperspannung fehlt, sich zum anderen aber der Kreislauf versucht, stets und ständig zu revolutionieren. Elende Müdigkeit mäandert durch die Glieder, schießen wäre bei einem Zustand wie Müdigkeit gepaart mit Resignation schließlich das falsche Wort. Mittendrin steht unabdingbar und fehlplatziert der kleine Mensch, der auf so viel achtet, so viel beachtet wird und keine Ruhe wollen darf, weil das dann seine letzte wird.

Es ist fast so, als würde Krebs andere Störungen herausfordern. Nymphomanie als Beispiel ist dann nur noch eine jugendliche Restfreude am Leben, ein Ausnutzen des Körpers, solange nicht die Chemo jede einzelne Zelle durchpumpt und teilzersetzt. Vandalismus wird zu: „Der Junge hat ja keine Wahl, lass ihn mal machen, er trägt eh keine Konsequenzen“ und Trinksucht wird, wie es eh schon zu erwarten ist, zur blinden Verarbeitung von Umständen, aus denen die Trinksucht keine Ausflüchte findet, Umständen, die sie nicht ändern kann und als Zirkelschluss treibt Trinksucht in eine tiefsitzende, melancholische Katerstimmung, die nun wirklich nicht unbedingt den gewollten Optimismus befeuert.

Deswegen ist Parfum so wichtig

Und dann kommt die Luft. Die Luft als das kostbarste, nicht greifbare Ding der Welt. Als Symbol dafür: Solange man sieht, solange man atmet, weil man es sich selbst erlaubt und autonom dazu fähig ist, solange man noch das Gefühl hat, ohne es von anderen beschrieben zu bekommen um ein Abbild zu erschaffen, so lang ist noch alles in Ordnung. Deswegen ist Parfum so wichtig, als komprimierter Lebenseindruck, mit dem man sich selbst ändern kann, sofern man es nur will. Es bringt die Augen zum leuchten, die vorher zwar nicht ohne Lebensfreude, dafür aber mit mehr Zynismus als normal die Welt betrachteten. Galgenhumor, zusammengepfercht in zwei Höhlen im Kopf.

Mehr und mehr Stöße erbrachen sich aus dem kleinen, glasgeschwungenen Flakon und sperrten zwischenzeitlich die Sicht, verklärten den Eindruck. Plötzlich machte er den Fehler, wieder einzuatmen, das noch nicht gesetzte Parfum schoss samt Wasser, Alkohol und Restpartikeln in seine Nase, wurde beißend steril und klemmte sich in der Schleimhaut fest. Ein leichter Schmerz durchzog ihn, weil der Alkohol sich zu schaffen machte.

 

Beitragsbild: Pixabay

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Kategorien Gesellschaft Zwischendurch

Ich bin Hannes, 17. Zwischen, Koffein, Misanthrophie, Philosophie und Augenringen findet sich irgendwo meine rebellierende Ader, mein Schreibspleen, der immer wieder nach Ausdruck verlangt. Schreiben ist für mich wie Tourette. Man kann es versuchen zu unterdrücken, aber irgendwann bricht es sich doch Bahn. Leise war ich eh nie. Aufbegehren wurde mir gewissermaßen anerzogen. Und somit bin ich im Journalismus gelandet. Denn dort kann ich aufbegehren und wenn ich Glück habe, wird das Ganze sogar gelesen. Eine optimale Mischung für einen Menschen, der gehört werden will.