Zum Abkupfern geboren

 

 

Internetaktivist Cory Doctorow übers Copyright, die Super-Menschen der Zukunft und sein neues Buch „For the Win“

 

 

Cory, in deinem Buch „For the Win“ geht es um Jugendliche in aller Welt, die in einem Netzwerk gemeinsam Online-Rollenspiele spielen und erkennen müssen, dass sie dabei von einer Online-Goldfarmer-Mafia ausgebeutet werden. Was wolltest du mit dieser Geschichte erzählen?

 

Das Buch soll nichts voraussagen, sondern zum Nachdenken anregen. Ich hoffe, dass ich durch meine Geschichten und mein Engagement Leute inspirieren kann, Dinge in der Zukunft anders zu gestalten. Vor George Orwells Buch „1984“ gab es Leute, die gemeint haben: Was ist so falsch an Überwachung? Wir haben heute zwar keine Teleschirme, keinen Big Brother und solche Sachen, aber die Überwachung hat sich dennoch etabliert. Dagegen gibt es bereits Widerstand, aktuell zum Beispiel die Occupy-Bewegung. Und das Buch zeigt, wie man es in einem globalen Netzwerk schaffen kann, gemeinsam den Kampf gegen alle Formen von Unrecht aufzunehmen.

 

Bist du selbst ein großer Spiele-Fan?

 

Nein, ich bin eher der interessierte Beobachter. Meine Frau ist die große Gamerin zu Hause. Wenn ein neues Spiel herauskommt, kann ich einen Monat lang kaum mit ihr sprechen, bis sie das Spiel endlich durchhat (lacht).

 

Viele warnen davor, dass solche Spiele süchtig machen. Du hast selbst eine Tochter, wie stehst du dazu?

 

Der Grund, warum so viele Jugendliche ihre Zeit in der Online-Welt verbringen, ist, dass es immer weniger Plätze für sie in der Offline-Welt gibt. Mich ärgert, dass man immer nur vom Suchtpotenzial der Spiele spricht, nicht aber davon, dass sie auch Spaß machen. Ich sähe es gerne, wenn meine Tochter Spiele spielt, die ihr Spaß machen, denn Spielen ist wichtig für Kinder.

 

Aber es gibt doch das Phänomen, dass Spiele wie World of Warcraft ihre Spieler so gefangen nehmen, dass sie all ihre sozialen Kontakte vernachlässigen.

 

Erst einmal vernachlässigen die Spieler bei den MMOGs (Massen-Mehrspieler-Online-Gesellschaftsspiel, die Red.) nicht ihr soziales Leben, denn man kann die Spiele nicht allein spielen. Außerdem: Ich habe als Jugendlicher die ganze Zeit in meinem Zimmer gehockt und Tag und Nacht Bücher gelesen. Mir hat das genauso Spaß gemacht, obwohl ich dadurch weniger soziale Kontakte hatte. Aber ich habe es damit später zum Autor gebracht. Manches bereut man vielleicht später, zum Beispiel, dass man zu viel gefeiert hat oder bis zum Lebensende keinen Berg bestiegen hat. Es stellt sich alles viel später heraus, was wirklich wichtig für dein Leben war. Das kann man so früh gar nicht beurteilen. Nebenbei: Persönlich beunruhigt mich viel mehr an World of Warcraft, dass man für das Spiel eine Spy-Ware auf seinem Computer installieren muss und es einen wirklich schlechten Ruf hat, was die freie Meinungsäußerung angeht. Die schließen zum Beispiel ständig schwule und lesbische Gilden.

 

Du bist in der Szene sehr bekannt als Aktivist, der sich für die Liberalisierung von Copyright-Gesetzen stark macht. Was sind deine Argumente?

 

Ich habe mein ganzes Leben kopiert und wäre wohl immer noch Jungfrau, wenn ich nicht selbstgemachte Mix-Tapes verschenkt hätte. Ich würde mir daher komisch vorkommen, herumzulaufen und Leuten zu sagen: Kopieren ist böse! Als ich kopiert habe, war es Trend, und heute ist es Diebstahl. Aber Kopieren ist gut! Vor vier Billionen Jahren hat ein Molekül herausgefunden, wie man das macht. Wir sind daraus entstanden. Das Kopieren zu verdammen, wäre verrückt, es ist gegen das Überleben. Heute ist Fakt: Jede Arbeit, die gut ist und anderen gefällt, wird kopiert. Wenn man etwas also nicht für das Kopieren erschafft, dann kann es vielleicht große Kunst sein, aber eben nicht nachhaltig. Persönlich finde ich es sehr befriedigend, Kunst für das 21. Jahrhundert zu schaffen – nach dem Motto „born to be copied“. Genau genommen liest man heute auf dem Computer keine Dateien, man kopiert sie. Man schaut sich keine Webpage an, sondern man kopiert sie temporär. Das ist Teil der aktuellen Realität.

 

Teil der aktuellen Realität ist auch die akute Gefährdung des Datenschutzes. Wie sollten vor allem junge Leute wie wir damit umgehen, die sich gern mal in sozialen Netzwerken austauschen?

 

Das Gute heutzutage ist, dass wir uns mit Geräten ausrüsten können, die unsere Privatsphäre schützen. Wir haben die Mittel, Cookies auszuschalten oder Pop-Ups zu blocken. Aber wir befinden uns dabei in einem Krieg, in dem das Imperium bis an die Zähne bewaffnet ist, während die Rebellen, also wir, nicht sehr viel in der Hand haben. Das größere Problem ist jedoch, dass wir unseren Kindern zwei verschiedene Dinge erzählen. Auf der einen Seite warnen wir: Gebt auf eure privaten Daten Acht, gebt so wenig wie möglich davon auf Facebook Preis usw. Aber wir sagen auch: Ob in der Schule, zu Hause oder in der Bibliothek – jeder Klick, den ihr macht, jede Email, die ihr schreibt, jedes Detail eures Online-Lebens, alles wird überwacht. Wenn wir wollen, dass unsere Kinder ihre Privatsphäre als kostbar ansehen, dann müssen wir sie dazu bringen, nicht die Überwachung zu akzeptieren, sondern sich gegen sie zu wehren. Man müsste ihnen beibringen, wie sie herausfinden, wer sie überwacht. Wenn man das nicht tut, ist alles sinnlos. Es wäre, als würde man mit einer Zigarette in der Hand und einer im Mund dasitzen und sagen: Es ist schlecht zu rauchen, fangt gar nicht erst an.

 

Wer sollte ihnen den bewussten Umgang mit dem Internet beibringen?

 

Die Regierung und Lehrer sind dafür verantwortlich. Wir müssen das Thema Überwachung im Internet zum Teil des Unterrichts und der Erziehung machen. Eltern können diese Rolle meist nicht übernehmen, da sie selbst zu wenig wissen. Einige bekommen auch zu schnell Angst vor Geschichten über Terrorismus, Pornografie und Pädophilie im Internet. Sie fragen sich: Wie kann ich mein Kind dagegen schützen? Und dann kommen sie auf die Idee, es am Besten in mehrere Lagen Plastikfolie zu verpacken oder auf all seinen Wegen auszuspionieren. Ich selbst sorge mich als Elternteil am meisten darum, was mein Kind macht, wenn es alleine ist. Meine Tochter sollte also lernen, auf sich selbst aufzupassen.

 

Datenschutz, Suchtgefahr, der Niedergang des Zwischenmenschlichen – wenn es ums Internet geht, wird oft eine Katastrophenstimmung heraufbeschworen. Zu Recht?

 

Das Internet ist kein Problem, das man lösen kann. Man kann auch nicht fragen: Was ist gut und was ist schlecht an der Gravitation? Es gibt heute das große Problem der Zensur und der Überwachung durch das Internet, auch im Auftrag der Regierung. Aber da ist auch diese andere unheimlich wichtige Sache: Das Internet macht es einfacher und billiger, zusammenzuarbeiten, zu kommunizieren. Und das ist vielleicht das wichtigste, was die Menschheit tut. Da gab es diesen Punkt in der Evolutionsgeschichte, an dem wir aufhörten, eigenbrötlerische Affen zu sein und zu Stammesaffen wurden. Als Gruppe von Affen kann man mehr erreichen, man kann ein Super-Affe sein. Zusammenarbeit macht uns zu Super-Menschen. Und wir sind gerade erst an der ersten Stufe. Ich bin ein Pessimist, weil ich sage: Das Internet ist das bestmögliche Instrument der Kontrolle. Aber ich bin auch ein Optimist, denn ich sage: Wenn wir etwas gegen diese Kontrolle tun, dann können wir fortfahren, die Möglichkeiten des Internets für uns auszudehnen.

 

Interview: Jakob Saß, 20 Jahre

 

Buchtipp:

Cory Doctorow

„For the Win. Spiel um dein Leben – sonst tun es andere“

Heyne-Verlag

16,99 Euro

 

 

Mehr Infos über Cory findet ihr auf seiner Homepage und seinem Blog.

 

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Kategorien Gesellschaft Zwischendurch

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