Tagebuch
Ein Tagebuch hilft, sich die Gedanken von der Seele zu schreiben und Klarheit in den Nebel der eigenen Gedanken zu bringen.
Die Erfahrung lehrt

Dear Diary: Wie mein Tagebuch mein Leben veränderte

Tagebuchschreiben ist wie Selbsttherapie. Im geschützten Rahmen der Buchdeckel kann man sich ausschütten und später wieder zusammensammeln. Maleens Geschichte zeigt, warum jeder zu Zettel und Stift greifen sollte.

Von Maleen Harten

Vor ein paar Jahren hatte ich den schlimmsten Liebeskummer. Allerdings kam dieser nicht mit der Trennung an sich, sondern setzte eigentlich erst viele Monate später ein. In der Zwischenzeit hatte ich damit begonnen den Exfreund innerlich auf diverse Podeste zu heben und ihn zu dem „besten Mann der Welt“ umzudeuten. Abends ging ich ins Bett und morgens wachte ich auf, immer mit den gleichen bittersüßen Erinnerungen. Mit der Distanz kam er mir plötzlich außerordentlich herrlich vor und meine Liebe zu ihm erschien mir voll und satt. Dass es in Wirklichkeit nicht so gewesen war, daran konnte ich mich nicht mehr erinnern. Wenn mir Freundinnen sagten, „Komm zur Vernunft, du warst unglücklich“, dann wischte ich diese Gedanken weg.

Hier stand es schwarz auf weiß: „Ich liebe ihn nicht mehr.“

Das einzige, das schlussendlich half gegen diese fieseste Form des Selbstbetruges, waren meine Tagebücher. Es stellte sich heraus, dass es schließlich meine eigenen Worte waren, die ich während Beziehung und Trennung niedergeschrieben hatte, die mein Gedanken-Karussell zum Stoppen brachten. Einen ganzen Tag und eine Nacht saß ich auf meinem Bett und blätterte durch diverse Notizen und Zettel mit meinen eigenen Worten. Und hier stand es schließlich schwarz auf weiß: „Ich liebe ihn nicht mehr.“ So konnte ich es (leider) nicht mehr verleugnen. Die Trennung war gut und richtig gewesen.

Dies war nicht der erste Moment in meinem Leben – in dem ich rückblickend durch mein Tagebuch wichtige Erkenntnisse hatte und Dinge anders verstehen konnte – doch einer der wirkungsvollsten.

Seit meinem neunten Geburtstag schreibe ich Tagebuch, machmal jeden Tag, manchmal einmal die Woche. Meine Großmutter hatte mir damals das kleine Büchlein geschenkt. Es war in weinroten Samt eingeschlagen und hatte ein kleines goldenes Schloss mit Schlüssel. ich fand es wahnsinnig schön. Mein erster Eintrag war so etwas wie „Der Tag war gut“. Doch schon kurz darauf wurde das ausufernde Schreiben über innere Zustände und Erlebnisse wie eine Sucht, eine innere Notwendigkeit.

In Teenager-Zeiten klebte ich Fotos von Jungs, Frisuren und getrocknete Blumen in die Bücher. Ich schrieb Gedichte von Else Lasker-Schüler und Selma Meerbaum-Eisinger auf der Schreibmaschine ab, dichtete meine eigenen und gefiel mir in der Rolle der melancholischen Intellektuellen. Irgendwann begann dann auch die Auseinandersetzung mit der realen Liebe, die ich lang und breit schriftlich festhielt. Und nach dem Abitur, in der Phase der beruflichen Orientierung und verzweifelten Verwirrung, folgten ewiglange Listen, was ich noch alles machen will im Leben, was ich lernen, erleben, wohin ich reisen möchte. Überall im Ausland musste ich mir neue Bücher kaufen, weil die, die ich mitgebracht hatte, meistens nicht ausreichten. Zu viel musste gesagt werden, zu viel war im Kopf. Die Unklarheit, die ich oft in mir fühlte, sie ließ sich aufdröseln, wenn ich sie schwarz auf weiß vor mir sah, wenn ich sie ordnen und gewichten, hin- und herschieben konnte.

Da sind ein „Dankbarkeits“- und ein „To-do-Listen“-Tagebuch, ein Notizheft für Ideen, eins für Reisen

Mittlerweile liegen sie überall – meine Tagebücher, Heftchen, Notizhefte. Heraus fallen Fotos, Zettel, Erinnerungen, Post-its. Sie sind in Kisten verstaut, liegen aufgetürmt neben meinem Bett und sind im Bücherregal aneinandergereiht. Eine Fülle an Wörtern, meinen Wörtern. Immer mal wieder blättere ich darin herum, und muss oftmals schmunzeln und mich auch wundern, über all diese Gedanken, den inneren Druck, die Fragen, die vor allem während der Schulzeit mein Leben durchzogen. „Entspann dich doch mal!“, möchte ich heute meinem 16-jährigen Ich zurufen.

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Auch heute schreibe ich noch viel, wahrscheinlich sogar mehr als früher. Doch habe ich das eine Tagebuch nun in viele Unterhefte untergliedert. Da ist ein „Dankbarkeits“-Tagebuch, ein „To-do-Listen“-Tagebuch, da ist ein Notizheft für Pläne und Ideen, eins für Reisen, für Träume und für gelesene Bücher. Immer habe ich Papier und mindesten einen Stift in der Tasche. Denn wenn sie kommen, die Gedanken, dann müssen sie raus.

Die Erfahrung lehrt: Tagebuchschreiben ist wie Selbsttherapie. Im geschützten Rahmen der Buchdeckel und Seiten kann man sich selbst ausschütten und später wieder zusammensammeln. Und wenn man Jahre später dies alles liest, ist es die ultimative Konfrontation mit dem jüngeren Ich. Wie war man damals eigentlich, was fühlte man wirklich? Tagebücher sind somit ein Abbild der eigenen Vergangenheit, des tiefsten Inneren. Sie zeigen, wie wir wurden was wir heute sind.

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