Die Erfahrung lehrt

Lieber gesund verlieben statt verrückt verknallt

Unsere Autorin traf ihre Jugendliebe nach Jahren wieder und musste erkennen, dass „madly in love“ nicht immer bedeutet, dass man zusammen auch glücklich wird.

Von Maleen Harten

Vor Kurzem habe ich in einem Café zufällig ein Gespräch zwischen zwei Frauen mitbekommen und konnte schon nach wenigen Sekunden nicht mehr weghören. Die eine erzählte von ihrem Liebeskummer und die andere fing irgendwann an, von ihrer eigenen glücklichen Lovestory mit ihrem Freund zu sprechen. Sie hatte ihn durch Zufall kennengelernt, über Monate freundschaftlich ohne Hintergedanken getroffen und sich schließlich in ihn verliebt, aber ganz unspektakulär und eher so durch die Hintertür. „Ich musste mich nie übergeben, wenn er mal nicht schrieb, rastete nicht aus, wenn er abgesagt hat“, erzählte die fremde Frau und ich spitzte die Ohren, denn ich liebe solche „normalen“ Liebesgeschichten, wo nicht alle Beteiligten sofort „crazy in love“ sind.

„Es war irgendwie so selbstverständlich mit ihm. Erst dachte ich, dass das ein ganz schlechtes Zeichen sei, aber dann habe ich es irgendwann nur noch genossen. Es gab keine Tränen, keinen Kampf um die Hand, kein Drama.“ Irgendwann konnte ich mich vor lauter Neugierde nicht länger zusammenreißen und rief zu ihrem Tisch herüber: „Aber was war mit der großen Verknalltheit, kam die dann noch oder blieb es so immer eher so lauwarm?“ Und als sei es das Selbstverständlichste der Welt, lächelte die fremde Frau mir zu, bat mir einen Platz an ihrem Tisch an und sprach einfach weiter: „Ja, also eine verrückte Verknalltheit wie ich es von anderen Männern kannte, hatte ich bei ihm nie. Aber das war auch gut so. All diese anstrengenden Verliebtheiten und Beziehungen früher. Diese Achterbahnfahrten, diese Anspannung und gleichzeitig diese totale Unfähigkeit sich fallen zu lassen, das hat mich völlig kaputt gemacht. Aber damals dachte ich immer, das müsste so sein. Mit meinem jetzigen Freund war es eher ein langsames Verlieben und eine Art Nachhausekommen, das sich einfach gut anfühlte.“ Während die Freundin der fremden Frau wenig überzeugt von dem Ganzen wirkte, war ich völlig entzückt von ihrer Liebesgeschichte.

Aufregende Unberechenbarkeit vs. Liebevolle Langeweile?

Natürlich war mir das Konzept des „gesunden Verliebens“ versus des „verrückt nach jemandem sein“ nicht ganz unbekannt. Immer schien es doch irgendwo genau um diese Frage zu gehen. Ist die Beziehung aufregend und spannend, der Partner dafür aber unberechenbar und gefährlich oder ist die Partnerschaft sicher und liebevoll, dafür aber eher langweilig?  Wenn sich Freundinnen für Letzteres entschieden hatten, dann hatte ich sie meistens bemitleidet. Die Armen, dachte ich. Jetzt war es für sie vorbei mit den Träumen und der Lebendigkeit, die sich so oft aus Verknalltheit und Sehnsucht speisen. Diese fremde Frau hier im Café war tatsächlich die erste, der ich das „healthy in love“ abnahm, bei der es sich voll und rund und wunderbar anfühlte.

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Wir sprachen noch ein bisschen weiter, bis ich mich irgendwann verabschiedete. Es war ein dämmriger Sommerabend, die untergehende Sonne hatte lila Streifen am Horizont hinterlassen und ließ mich an den Abend vor einigen Jahren denken. Es war ein heißer Tag gewesen, den Julius und ich aufgekratzt und ineinander verhakt am Strand verbracht hatten. Später hatten wir mit seinen Freunden gegrillt und uns irgendwann verabschiedet um einen Spaziergang zu machen. Jahre zuvor war er meine große Liebe gewesen. Aber schlussendlich war er ein schwieriger Typ geblieben, der sich mir in letzter Konsequenz immer entzogen und mich damit wieder und wieder sehr unglücklich gemacht hatte. Nun hatten wir uns zufällig wiedergetroffen und eine Liaison begonnen, die mich völlig berauschte. Konnte es sein, dass es nun klappen würde, fragte ich mich. Der Mann, den ich so lange als meinen Traummann bezeichnet hatte, der aber nie wirklich gewollt hatte. Könnte es endlich in Erfüllung gehen?

Ich spürte das feuchte Gras an meinen Füßen, den warmen Wind an meiner Wange und in mir war ein Kribbeln und eine Unruhe, die ich kaum unter Kontrolle halten konnte. Julius’ warme Hand in meiner, sein Körper, der so dicht neben mir ging, seine Stimme, die zu mir sprach, all das löste ein so starkes Glücksgefühl in mir aus, dass ich dachte, ich würde eventuell gleich umkippen. Hätte ich mich getraut zu schreien, ich hätte es getan. Das schienen mir untrügliche Zeichen meiner großen Gefühle zu ihm zu sein und immer wieder sagte ich mir, dass ich dieser großen Verliebtheit unbedingt nachgehen müsse, weil dies so selten und so besonders ist.

Im Nachhinein ist man immer schlauer

Heute, einige Zeit später, bin ich schlauer und kann sagen: Klarer Fall von „madly in love“-Syndrom, ohne jegliche gesunde Aspekte. Denn natürlich war Julius auch Jahre später der gleiche Mann, mit den gleichen Ängsten und Problemen. Schlussendlich wurde es nichts Festes aus uns. Es war und blieb eine ungute Dynamik aus Ranziehen und Wegstoßen, aus Andeutungen und indirekten Bemerkungen, bei der jeder von uns alles dafür tat, um sich nicht zu weit aus dem Fenster zu lehnen, um nicht an Macht zu verlieren, sich nicht die Blöße zu geben. Ein wirkliches Näherkommen war bei diesem Eiertanz gar nicht möglich. Das begriff ich schließlich einige Tage nach dem schönen Abend auf der Wiese. Ich verstand, dass Julius ein Mann war, in den ich mich nie würde gesund verlieben können, mit dem ich nie ganz entspannt wäre. Ich packte schlussendlich meine Sachen und ging.

Als ich nun Jahre später mein Fahrrad durch die Straßen schiebe, über die Brücke, die über den breiten Fluss führt und vorbei an den blinkenden Lichtern der großen Stadt, da bin ich froh über dieses Ende unserer Geschichte. Alles deshalb, weil er mich immer wieder umhaute, mir den Appetit und den Schlaf raubte. Heute verstehe ich, dass „umgehauen“ werden nicht zwangsläufig ein Zeichen für gesunde Gefühle ist. Denn schlussendlich habe ich mich nie ganz wohlgefühlt mit ihm, bin bei ihm nie „Nachhause“ gekommen, habe mich nie fallenlassen oder ihm wirklich vertrauen können. Es war ein Rausch, in dem ich mich immer wieder selbst verloren habe. 

Die Erfahrung lehrt: Sich wohlzufühlen mit einem Menschen, das sollte die oberste Prämisse sein. Danach sollte man seine Beziehungen gestalten, anstatt auf den großen „Chemieunfall“ in Körper und Herz zu warten. Etwas unspektakuläre Gefühle machen auf lange Sicht oftmals glücklicher.

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