Depression Einsamkeit
Die große Frage ist: Wie geht es jungen Menschen gerade, die sich schon vor Corona einsam gefühlt haben?

Depressiv wegen Corona: Wie viele Jugendliche bräuchten gerade Hilfe?

Seit der Corona-Pandemie wenden sich immer mehr Jugendliche an die Hilfsangebote [U25] und Nummer gegen Kummer. Dennoch: Niemand weiß ob es denen, die sich nicht melden, auch wirklich gut geht. Experten sind besorgt.

Von Antonia Eichenauer

Es wurde in den vergangenen Tagen eifrig diskutiert, wie die bestehenden Maßnahmen zur Eindämmung von Covid-19 gelockert werden können. Jede Lobby stellte ihren Bereich als den wichtigsten dar. Das liegt in der Natur der Sache, hat allerdings in Deutschland zur Folge, dass sich die Debatte um Fußball und Autos dreht – sehr verkürzt dargestellt. Der Bundesverband des Kinderschutzbundes, die Lobby der Kinder und Jugendlichen, fordert demnach, sich darauf zu fokussieren, welche Auswirkungen die Corona-Maßnahmen auf die Jüngsten in der Gesellschaft haben. „(…) diese Debatte muss die Bedürfnisse der Kinder im Blick haben – nicht nur die der Leistungsgesellschaft“, schreibt der Präsident des Kinderschutzbundes Heinz Hilgers in einer Pressemitteilung zum Tag der gewaltfreien Erziehung am 30. April.

Wie es Kindern und Jugendlichen wirklich geht, ist schwer zu sagen. Bei der Nummer gegen Kummer ist die Zahl der Ratsuchenden angestiegen, bei der Chat-Beratung sogar um 26 Prozent. „Ich bin immer froh, wenn Ratsuchende den Weg zu uns gefunden haben“, sagt Nina Pirk. Sie ist Fachberaterin für Kinderschutz im Internet bei der Dachorganisation der Nummer gegen Kummer. Was sie damit aber auch andeutet: Niemand weiß, ob es denen, die sich nicht melden, auch wirklich gut geht.

Die alles dominierende Frage: Wann?

Bei der Nummer gegen Kummer können sich Kinder und Jugendliche telefonisch und online mit jedem Thema melden, das sie gerade nicht mit anderen Leuten besprechen können oder wollen. Das Thema Corona schwinge in vielen Gesprächen mit, sagt Pirk. Die jungen Menschen machen sich Sorgen, was das Virus für ihre Zukunft bedeutet. „Wann geht die Schule wieder richtig los, wann kann ich meine Freunde ganz normal wieder sehen, wann kann ich wieder zum Sport“, paraphrasiert Pirk einige der aufkommenden Fragen.

Christina Obermüller gehört zum Leitungsteam von [U25]-Berlin, einem Hilfsangebot für suizidale Jugendliche. Per Mail werden sie von gleichaltrigen Ehrenamtlichen beraten. Bei ihr kommt ein ähnliches Bild an. Bis Ostern hatte sie das Gefühl, dass die Einschränkungen für die Jugendlichen in Ordnung gewesen seien. Doch mittlerweile sei eine neue Stufe erreicht.

Situation für viele Jugendliche nur schwer auszuhalten

Auch bei [U25] gehen mehr Anfragen als vor der Pandemie ein. Durch ein Ampelsystem können sie die Aufnahme stoppen, wenn sie keine Kapazitäten für eine ausführliche Beratung mehr haben. „Dadurch wissen wir aber nicht, wie viele quasi vor der Tür stehen“, sagt Obermüller. Um diesen Mehrbedarf abzudecken, haben [U25] und die Jugendnotmail zusammen das Projekt „Gemeinsam statt einsam“ ins Leben gerufen, eine Mailberatung für all die jungen Leute, die wegen Corona in einer Krise stecken. Denn auch die Jugendnotmail vermeldet einen Anstieg der Anfragen, nach eigener Auskunft um 40 Prozent.

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In ihren Mails an die [U25]-Beraterinnen sagen die Jugendlichen deutlich wie schwer die Situation auszuhalten ist. Doch auch hier sind es weniger die gesundheitlichen Risiken, als die Folgen, die thematisiert werden. „Vor allem die fehlende Struktur, dieses Gefühl, keinen Grund zum Aufstehen zu haben, ist besonders schwer“, erklärt Obermüller, „es fehlt der Sinn, die Aufgabe.“ Gerade für Jugendliche, die schon vor Corona von Einsamkeit gesprochen haben, sei das gebotene Social Distancing eine große Herausforderung, erklärt Obermüller.

Einmal ohne Eltern sein

Für Kinder und Jugendliche sei es wichtig, unterschiedliche Menschen um sich herum haben, meint Nina Pirk. Die Kontaktbeschränkungen werfen uns alle zurück auf die sogenannte Kernfamilie, so dass nur die Eltern übrig bleiben. „Was ich so höre, ist es der Wunsch rauszukönnen, Freunde zu treffen, in den Sportverein oder Jugendclub zu gehen“, listet Pirk auf, was Jugendliche brauchen. Es sind Angebote und Erlebnisräume speziell für Jugendliche, ohne Eltern und – O-Ton – „andere nervige Erwachsene“, die gerade am meisten fehlen.

So wird all das, was manchmal mit neuen Medien beschrieben wird, umso wichtiger. Videotelefonie schafft mehr Nähe als sich nur zu hören, Sport- oder Kreativ-Challenges auf Instagram geben einem ein Ziel und eine Aufgabe, in Gruppenchats kann Small Talk betrieben werden. Für Nina Pirk beweist sich gerade, was für wunderbare Werkzeuge die digitale Welt liefert, um sich alltäglich auszutauschen und verbunden zu bleiben. Dennoch gibt sie zu bedenken, dass Video und Telefonie zwar einiges ersetzen könnten: „Aber das Umherziehen mit Freunden ist ein wichtiger Teil, der gerade vollkommen wegfällt.“

Service-Kasten

  • Das Elterntelefon ist montags bis freitags durchgehend von 9-17 Uhr, dienstags und donnerstags sogar bis 19 Uhr unter der kostenfreien Telefonnummer 0800 111 0 550 zu erreichen.
  • Das Kinder- und Jugendtelefon berät unter der Telefonnummer 116 111 montags bis samstags von 14-20 Uhr und zusätzlich montags, mittwochs und donnerstags von 10-12 Uhr.
  • In der Online-Beratung ist der Chat aktuell dienstags und freitags von 10-12 Uhr und mittwochs und donnerstags von 15-17 Uhr offen
  • die E-Mail-Beratung ist weiterhin rund um die Uhr erreichbar.

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