Wer viel zuhause sitzen muss, hat auch mehr Zeit um über sein Leben nachzudenken.
Die Erfahrung lehrt

Corona-Krise: Jetzt ist die beste Zeit, um sich zu ändern

Maleen war von der Corona-Krise zunächst hart getroffen. All ihre Pläne waren mit einem Schlag dahin. Doch nach kurzer Zeit in der heimischen Isolation fing sie an zu reflektieren – und fand Erstaunliches über ihr Leben vor der Krise heraus.

Von Maleen Harten

Momentan geht es mir gut. Zu gut vielleicht, angesichts der Krise, in der sich Deutschland beziehungsweise die ganze Welt gerade befindet. Niemand weiß, wie es genau weitergehen wird, wie lange noch die Läden geschlossen, die Büros im Home-Office, die Klopapier-Rollen ausverkauft, die vorerkrankten und alten Menschen isoliert sein müssen. Niemand weiß, wie schnell sich Gesellschaft, Politik und Wirtschaft wieder erholen werden.

Aber mal ganz abgesehen davon merke ich gerade, wie dringend ich diese Entschleunigung gebraucht hatte. Noch vor zwei Wochen war ich völlig fassungslos: All meine Pläne, alles, was ich mir seit Monaten erarbeitet hatte, schien sich über Nacht in Luft aufzulösen. Klar, es geht anderen Menschen deutlich schlechter, aber für meine kleine Welt war das schon schlimm genug: Praktikum in Hamburg abgesagt, Weiterbildung gestoppt, Journalismus-Kurs gecancelt. Dazu die Sorge um die älteren Verwandten, die Angst, eventuell in der kleinen Wohnung bleiben zu müssen und dort über kurz oder lang die Wände hochzugehen. Doch es kam schlussendlich alles ganz anders.

Schon an Tag 2 meiner selbstgewählten Isolation fühlte ich mich so ausgeglichen wie schon lange nicht mehr. Fast einen ganzen Tag habe ich nur geschlafen und so nachgeholt, was offensichtlich nachzuholen war. Dieses Gefühl, morgens aufzuwachen und nichts tun zu müssen, ja gar nichts tun zu können, war einfach unbeschreiblich entlastend. Und plötzlich kam diese Lust kreativ zu werden. Texte zu schreiben, einen eigenen Blog zu bauen, einen Schal zu stricken, einen Familienstammbaum zu malen. An Tag 4 fing ich sogar wieder an zu joggen, dabei bin ich eigentlich ein absoluter Sport-Muffel. Um danach weiteres Neuland zu betreten und ein Yoga-Tutorial zu absolvieren. Ich gebe es ungern zu, aber ich habe mich danach wirklich super gefühlt und mache es seitdem jeden Tag.

Plötzlich merkte ich, dass nicht jede Minute verplant sein muss

Eigentlich bin ich ein echt aktiver Mensch, der ständig in Bewegung ist, immer Leute treffen muss, von einem Termin zum anderen rast und sich gut dabei fühlt. Je ausgefüllter mein Tag war, je verplanter jede einzelne Minute, desto glücklicher machte es mich. Ich brauche das. Ich brauche die Action. Dachte ich zumindest.

Wie wenig das stimmt, merke ich erst jetzt. Wo die Umstände mich dazu zwingen, runterzufahren, Sachen abzusagen, Planungen zu verschieben, den Pause-Knopf zu drücken. Ich plane gerne, weiß gerne, wo ich im Sommer sein, wo ich Silvester feiern werde. Plötzlich ist dies alles nicht mehr möglich und die ganze Welt macht mit. Und wie ich jetzt merke, es tut mir gut, das alles nicht zu wissen. Es tut mir gut, minutenlang aus dem Fenster zu blicken und zu wissen, dass ich noch eine Stunde so „sinnlos“ weiter vor mich hinstarren kann, weil sonst nichts mehr geplant ist.

Die Trainerin meiner Weiterbildung sagte mir heute, wie erschreckend es doch ist, dass wir erst jetzt in der Krise sehen wie weit wir eigentlich sonst über unsere persönlichen Belastungsgrenzen gehen. Uns viel mehr aufhalsen, als wir zu leisten in der Lage sind. Dafür sind natürlich nicht nur persönliche sondern auch strukturelle, gesellschaftliche und politische Umstände verantwortlich. Aber ich finde es sinnvoll in dieser Situation einmal zu schauen: Wie will ich eigentlich leben? Wie soll mein Alltag aussehen, wenn wir wieder zurückmüssen, in unser normales Leben? Einen eigenen Alltag weiter gestalten, wenn das normale Leben wieder weitergeht. Oh je, richtig. Irgendwann kommt ja wieder das normale Leben. Fast vergessen.

Ich will nicht, dass es wieder so wird, wie es war.

Die Erfahrung lehrt: Obwohl wir in einer tiefen Krise stecken und die Zukunft ungewiss ist, hilft die derzeitige Phase der Entschleunigung uns dabei, unser Leben zu reflektieren. Aus dem üblichen Alltagstrott gerissen, merken wir, was uns zuvor zu viel war und was uns gefehlt hat. Eine großartige Chance, sich selbst und sein Leben zum Besseren zu verändern!

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