Sollte man immer ehrlich sein?

Auch in dieser Woche haben unsere Alter Egos, Rosi Haube und Manfred Höff, ihre Redaktionsenkel mit offenen Armen empfangen, um Kraft ihrer Lebenserfahrung Ordnung in junges Gedankengewirr zu bringen.


Katrin Bär, 21 Jahre, aus Neukölln fragt:
„Sollte man grundsätzlich immer ehrlich sein?“


Herr Höff meint: Grundsätzlich auf die Wahrheit zu bestehen, ist entweder idealistische Schwärmerei oder, schlimmer noch, fundamentalistischer Starrsinn. Oder was würdest du einem Gestapo- oder Stasifunktionär antworten, der nach dem Aufenthaltsort eines Juden oder eines Regimegegners fragt, den du bei dir versteckt hast? Auf die Frage: „Darf man den Teufel belügen?” würde ich bezogen auf den skizzierten Sachverhalt sogar sagen: Man darf nicht nur, man muss ihn belügen.


Aber warum ist das richtig?


Der Anspruch auf Wahrheit beruht auf dem gerechtfertigten Interesse des Gegenübers. Wer die Wahrheit wissen will, um Verbrechen zu begehen, hat ganz klar keinen Anspruch.
Aber auch in einem Einstellungsgespräch ist der Anspruch des Firmenvertreters auf Wahrheit begrenzt. Er darf nicht danach fragen, ob eine potenzielle Mitarbeiterin schwanger ist. Fragt er dennoch, hat er keinen Anspruch auf Wahrheit.


Wie jedoch verhält man sich, wenn die Antwort auf eine berechtigte Frage einem Gesprächspartner peinlich ist oder den Fragenden verletzen würde? Gerade hier sollte man sinnvoll unterscheiden: Wenn auch das Gesagte wahr sein soll, muss nicht alles, was wahr ist, gesagt werden.


Unangenehm und letztlich auch nicht ernst zu nehmen, sind allerdings Gesprächspartner, die einfach immer das sagen, was am besten ankommt, völlig unabhängig vom wahren Sachverhalt. Da hat man manchmal den Eindruck, dass solche Leute sich gar nicht an die Realität erinnern, sondern in jedem Fall eine für sie angenehme Story basteln.


Auf die Sprachregelung von Diktaturen einzugehen, führt hier sicher zu weit. Diese grundsätzliche Verlogenheit kann eine Gesellschaft derart paralysieren, dass der Anspruch „In der Wahrheit leben“ (Vaclav Havel) schon fast utopisch ist. Euer Manfred

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Kategorien Gefühle

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