Ketten sprengen

Transidente Jugendliche suchen einen Weg hinter die biologisch festgelegten Grenzen ihrer Identität

von Mareike Dottschadis, 19 Jahre

Wenn sich Kopf und Körper nicht einig sind, führt das zu Konflikten. (Foto_: thinkstockphoto/Domen Colja)

Das Geräusch von Hackenschuhen auf Holzdielen hat ihr Eintreten angekündigt. Jetzt sitzt Mari Günther locker zurückgelehnt, einen Arm über der Stuhllehne, die Beine übereinander geschlagen – eine Frau, die den Eindruck vermittelt, sich in ihrem Körper wohl zu fühlen. „Du kannst nicht jahrelang im Zimmer hocken und warten, bis du dich verwandelst wie ein Schmetterling“, sagt sie.

Mari Günther, Diplom-Pädagogin und systemische Therapeutin von Jugendlichen und Erwachsenen, deren Geschlechtsidentität von ihrem biologischen Geschlecht abweicht, hat nicht gewartet. Sie hat sich verwandelt und sich auch beruflich dem Thema verschrieben, das sie selbst geprägt hat.

„Viele junge Leute berichten von einem Bruch mit der Familie“, sagt Mari Günther. Dies habe sie motiviert, eine Jugendberatung zum Thema Transidentität anzubieten – Projekte wie diese gebe es nur wenige in Deutschland. „Die meisten Jugendlichen, die in die Beratung kommen, sagen nicht, dass sie das Gefühl hätten, jemand anderes zu sein. Sie sagen einfach so etwas wie: ,Hallo, ich weiß, dass ich ein Junge bin‘“, sagt Mari Günther. Transidentität sei eben die einzige psychische Diagnose, die man sich nur selbst geben kann.
Die meisten ihrer Schützlinge beschäftige die Frage nach dem „Was bin ich?“ schon jahrelang. Deutlich werde sie vor allem in der Pubertät, wenn der Körper beginnt, sich für ein Geschlecht zu entscheiden und der Kopf damit nicht einverstanden ist. „Transjungen werden dann manchmal aggressiv, prügeln sich mit anderen Jungs oder werden straffällig.“ Transmädchen hingegen seien erst einmal eher ruhig und angepasst.

Transidentität kann aber auch zu ernsten Depressionen führen oder anderweitig zu Ursachen von Alltagsproblemen werden. Dann können manchmal Gespräche mit der Familie helfen. Natürlich ist es nicht ganz einfach, sich Familien und Freunden zu öffnen. Vor allem Eltern würden sich am Anfang oft fragen, was sie falsch gemacht haben. „Diese Phase dauert aber meist nicht lang. Oft ist die Angst größer, dass die eigenen Kinder einsam und unglücklich werden. “

Eine Psychotherapie sei auch ratsam, ergänzt die Therapeutin. Diese könne die zu hohen Erwartungen mildern, die viele Transidente beispielsweise an eine Hormontherapie stellen. „Sein Geschlecht anzugleichen, heißt nicht, danach ein anderer Mensch zu sein. Man kann nicht einfach in die Frauen- oder Männerwelt abtauchen, nur weil man mehr so aussieht, wie man sich fühlt.“

Beratung: Mari Günther könnt ihr bei der Schwulenberatung Berlin in der Mommsenstraße 45 in Charlottenburg oder unter Tel. 23 36 90 88 und 
0173/621 12 65 erreichen.

Mehr Infos unter: www.mari-
guenther.de, www.schwulenberatungberlin.de

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