Klartext

„Assi-Tag“ an Gymnasien: Wir sind tolerant? Von wegen!

Ja, wir haben ein Rassismusproblem – auch unter Jugendlichen. Es ist jedoch eine andere Bevölkerungsgruppe, deren Diskriminierung gesellschaftlich viel anerkannter ist. Ein Kommentar über Alltagsdiskriminierung.

Von Nikita Vaillant, 21 Jahre

Stellt euch vor, während der Abi-Mottowoche gäbe es den „Neger-Tag“. Alle kommen schwarz geschminkt, mit Locken-Perücke und in Leopardenfelle gekleidet zur Schule. Natürlich würden auch alle nur gebrochen deutsch sprechen. Und jeder hätte so richtig Spaß. Vermutlich schrillen gerade bei euch die Alarmglocken im Kopf. Abscheulich rassistisch wäre das doch. Stimmt.

Was es jedoch tatsächlich an vielen Schulen des Landes gibt, ist der „Assi-Tag“. Das wäre kein Problem, würden wir nicht mit „Assi“ wirklich nur asoziales Verhalten meinen. Wir verwenden den Begriff jedoch als Abwertung ärmerer Menschen. Und so kommen die Schüler am „Assi-Tag“ in Jogginganzügen, tragen billige Basecaps und Turnschuhe. Die Mädchen schminken sich extrastark, tragen große Reifenohrringe und am besten noch ein Kissen unter dem Top, um wie ein hochschwangerer Teenie auszusehen. Spöttisch ahmt man die vermeintlichen Umgangsformen der Proleten nach, mit sehr viel „sch“ statt „ch“ und „Alta, korrekt, krass ey“. – Ja, das ist extrem arrogant.

Ähnlich wie beim Rassismus wird es den meisten, die nicht selber aus dem verspotteten Milieu stammen, sehr schwerfallen, die Problematik dieser Szene zu erkennen. Durch Aufklärungsarbeit, öffentliche Projekte und Thematisierung in populärer Kultur ist es beim Thema Rassismus gelungen, Menschen in Deutschland zu sensibilisieren. Geht es um Rassismus, horcht die Gesellschaft auf. Wir sind sensibilisiert. Und so war der Aufschrei anlässlich des Monkey-Sweaters von H&M genauso laut wie nach dem rassistischen Tweet über Noah Becker.

Wären wir nur halb so sensibel, wenn es um die Diskriminierung sozial Schwächerer geht – es wäre ein großer Fortschritt. Doch der scheint fern, solange RTL-Redakteure jeden Mittag im TV Hartz-IV-Familien bloßstellen, unsere Vorstellung vom „Assi“ perpetuieren und dafür mit hohen Einschaltquoten belohnt werden. Sich über ärmere Menschen lustig zu machen, wird gesellschaftlich mindestens toleriert. Und so hat der vermeintliche Spaß der frischgebackenen Abiturienten mit dem Kissen unter dem Top keine Konsequenzen. Diese Haltung beweist jedoch ganz deutlich, wie wenig wir sozial Schwächere ernst nehmen. Solange sich das nicht ändert, wird auch unsere hohe Sensibilisierung gegenüber Rassismus einen heuchlerischen Beigeschmack behalten.

Foto: „Assi-Tag“ am Droste-Hülshoff-Gymansium in Zehlendorf. Credit: Screenshot Youtube/Anna Rausch

Das könnte Dich auch interessieren

Kategorien Gesellschaft Zwischendurch

Warum ich bei Spreewild mitmache? Um mir Dinge von der Seele zu schreiben, die mich schon lange beschäftigen. Ich mache mit viele Gedanken über Missstände, Ungerechtigkeit und ähnliches – eigentlich über alles, was meiner Meinung nach schief läuft in unserer Welt. Zum Glück befasse ich mich aber auch gerne mit schöneren Dingen, wie Musik und Filmen.