Klartext

Warum wir nicht in Panik verfallen sollten, nur weil unsere Eltern zu Besuch kommen

Sind die Eltern zu Besuch, so ist Planung angesagt. Die Stadt muss von der besten Seite präsentiert, die Hemden gebügelt, die Wohnung gesaugt werden. Warum das alles etwas überbewertet wird und man sich weniger Stress machen sollte:

War das die Klingel? Nein, das kann nicht sein. Kommen doch erst in einer Stunde. Mist! Schnell die T-Shirts und Pullis aufsammeln, unter der Bettdecke fallen sie gut verteilt und plattgedrückt eigentlich gar nicht mehr wirklich auf. Alle Bücher und Zettel halbwegs ordentlich auf einen Stapel hinter den Vorhang – aus dem Fenster schauen sie sowieso nicht (hoffentlich). Ja und dann ist da noch das ewige Problemgebiet namens Küche. Hm, was tun? Erstmal alles in die Spüle, immer noch besser, als wenn das Zeug turmhoch rumsteht. Es klopft. Waren ja ganz schön schnell im vierten Stock. „Ah, schon lange nicht mehr gesehen, wie geht’s dir so?“ – „Gut, gut, dachte ihr kommt gar nicht mehr, hab schon gewartet.“

Wenn Eltern ihren Nachwuchs am Studienort besuchen, so ist das natürlich ein absoluter Grund zur Freude. Man sieht sich nach längerer Zeit wieder, kann mal normal quatschen und entkommt für ein paar Tage Nudeln mit Pesto. Zudem kann man endlich einmal beweisen, dass man es auch ohne Mamas gutgemeinte Ermahnungen und Ratschläge schafft, ein halbwegs zivilisiertes Leben zu führen – inklusive Wäschewaschen, Kuchen backen und die eigenen Finanzen regeln. Sie sollen ruhig sehen, dass der ewige Chaot kann, wenn er will. Auch wenn der Glaube daran nicht immer vorhanden war und er die Nummer der Eltern schon fast unter der Kurzwahl eingespeichert hätte. Zudem muss man endlich mal herzeigen, warum man denn so weit weggezogen ist. Und warum Berlin vielleicht doch etwas mehr ist als bloß ein Moloch grauer Straßen, Drogen und Technopartynächten – wie man es eben aus dem Fernsehen kennt. Das setzt natürlich einiges an Planung voraus.

Auch wenn eine Tour mit den Eltern durch Berlin nicht die echte Lebensweltwelt widerspiegelt: Es gefällt ihnen und das reicht zunächst

Nicht alles, was man persönlich mit Freunden macht, sollte den eigenen Eltern, ohne Bauchschmerzen zu verspüren, zugemutet werden. Dazu gehört so manche doch eher heruntergekommene Studentenbar, die Warschauer Straße bei Nacht oder bei einem Freiluft-Rave am Karneval der Kulturen mitzumachen. Nein, bei schönem Wetter eine Tour vom Brandenburger Tor und den Hackeschen Höfen über den Simon-Dach-Kiez bis zum Food Festival in der Kulturbrauerei inklusive Karaoke im Mauerpark muss es sein.

Natürlich spiegelt das dabei Erlebte nur zum Teil die Lebenswelt der Berliner selbst wider. Aber so ist das eben, ein klassischer Wohnbezirk wäre ja auch etwas zu langweilig, wenn jemand nur zwei Tage in der Stadt ist. Spätestens wenn es durch den Prenzlauer Berg geht, und alle meinen, so schön sehe es sicher überall in Berlin aus, nicke ich zustimmend, obwohl sich ja doch leichte Schuldgefühle hochplagen. Ihnen stattdessen zu erklären, dass es hier nur so schön ist, weil quasi alles von miesen privaten Mietgesellschaften betreut wird, ist mir dann doch zu anstrengend. Ihnen gefällt Berlin, das reicht fürs Erste.

Letzten Endes kommen die Eltern jedoch weder für die Stadt, noch für deinen Kleidungsstil oder um nachzusehen, ob die Spüle in deiner Wohnung lupenrein ist

Wahnsinnig witzig ist auch, dass Eltern oftmals glauben, ihre Kinder ändern sich nur wenig, wenn sie wegziehen. Natürlich werden sie erwachsener und reifer aber, dass ich teilweise in etwas merkwürdigen Klamottenkombinationen durch die Gegend laufe und dabei Musik in fragwürdiger Lautstärke höre, sind die Dinge, die man nicht unbedingt erzählen muss und die sie vielleicht auch gar nicht unbedingt wissen wollen und müssen.

Letzten Endes kommen die Eltern jedoch weder für die Stadt, noch für deinen Kleidungsstil oder um nachzusehen, ob die Spüle in deiner Wohnung lupenrein ist. Sie kommen wegen dir, wollen sich mal live erkundigen, wie du lebst, wie es dir geht (und ob du eh genug isst und nicht abmagerst). Meine waren vor wenigen Wochen hier. Sie waren superglücklich, ich war superglücklich, ich wurde für gut befunden, meine Spüle war sauber und mein Hemd zumindest ansatzweise gebügelt. Wenn sie das nächste Mal hier sind, ist es vielleicht schon ganz faltenrein und ich lade sie zu Nudeln mit selbstgemachtem Pesto ein. Ich freue mich jetzt schon drauf.

Foto: Brebca/Fotolia

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