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Noch ist der Frühling nur eine Ahnung

Langsam wird der Winter transparent. Die Cafés füllen sich, jeder streckt den Kopf gleichförmig zur Sonne. Alma hat die Stadt beim Erwachen beobachtet.

In der Bahn steht ein Junge mit struppigem braunem Haar. Er mustert sich in der Scheibe. Vielleicht schaut er auch nur gedankenlos auf das vorbeiziehende Berlin. Immer wieder schauen die Leute lachend von ihren Smartphones auf zu dem Jungen. Er ist umhüllt von einem weißen Pappkarton, den rote chinesische Schriftzeichen zieren. Nach drei Stationen steigt er grinsend seitwärts aus. Die Sonne durchbricht langsam die Wolkenformationen, es ist unerwartet warm. Der Winter wird langsam transparent.

Endlich: Im Café lässt es sich wieder Draußen sitzen. Foto: Christian Schwier/Fotolia
Endlich: Im Café lässt es sich wieder Draußen sitzen. Foto: Christian Schwier/Fotolia

Die Leute in den Cafés sitzen wieder draußen und strecken den Kopf gleichförmig zur Sonne. Noch sind die Frühlingsgefühle von kühler Luft umhüllt, doch der Prenzlberger Kaffee wärmt, genauso wie die roten Decken auf den Stühlen. Bis jetzt ist der Frühling nur eine Ahnung.

An der Frau läuft ein Junge vorbei. Verkleidet als Chinabox. Auf den Nudeln steht mit schwarzem Edding „Abitur 2016“, immer wieder. Obwohl seine Daumen schnell über das Handydisplay tippen, achtet er da­rauf, nicht die Winterglöckchen am Straßenrand niederzutreten. Sie wirken so zart zwischen den Passanten, den schnellen Fahrradfahrern und Autos, deren Insassen die Fenster runterlassen. Der Junge läuft an einem Spielplatz vorbei, auf dem viele kleine Kinder rennen und balancieren. Sie stoppen, als sie den Jungen sehen. In ihren Blicken die pure Neugier.

Die Mütter sitzen auf den Bänken, unterhalten sich und essen Bio-Vollkorn-Kekse, die eigentlich für ihre Kinder sind. Im Gras liegen die ersten Pärchen. Die Musik an der Spree wird lauter. Die Gärten der Welt sind wieder besucht. Zwischen Street-Art und Hektik am Hackeschen Markt steht ein Mann und wartet auf die M1. Es ist schon spät, der Abend aber  noch hell, nicht wie sonst, wenn der Mann Feierabend hat. Er kaut einen Mango-Papaya-Kaugummi und starrt auf die schwarzen Worte, die jemand mit Edding auf die gelbe BVG-Anzeige gekritzelt hat: „Frei ausm Bauch“. Der Mann kann seinen Blick nicht davon lösen, bis die pünktliche M1 vorfährt.

Von Alma Dewerny, 17 Jahre

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Kategorien Gefühle Zwischendurch

Ich bin einfach nur Alma, 19, Abiturientin und immer auf der Suche nach etwas Neuem. 
In der Jugendredaktion bin ich seit Dezember 2015, weil es für mich am spannendsten ist, die Welt aus möglich vielen Perspektiven zu betrachten und dann in Worte zu fassen.