Ehrensache: Abrechnung mit meiner Mutter

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Nicht wütend werden, Mutti! Aber bei deinem Ehrentag mache ich nicht mit.

Liebe Mama, alljährlich dasselbe Spiel, es ist wieder so weit: Dein Tag ist gekommen, die 24 Stunden, in denen sich die Familie ganz und gar dir widmen soll. Der Tag, den wir von mir aus gern streichen können. Der Muttertag steht vor der Tür.

Lange Überlegungen über dich und mich und über unser gemeinsames Leben haben mir gezeigt: Diesen deinen Ehrentag brauchen wir nicht, schließlich sind wir – meinen Berechnungen zufolge – quitt.

Sicher, auf deinem Konto ist reichlich Guthaben: Du hast meine Elefanten-Schultüte mit Papprüssel gebastelt und mir an Fasching für mein Engelkostüm Flügel gezaubert. Und all die Schulbrote, die du mir geschmiert hast, auch das muss man dir anrechnen. Du hast die besten Geburtstagspartys mit Schnipseljagd und Topfschlagen veranstaltet. Dann war da noch mein erster Urlaub ohne Eltern: Da hast du meine Rückreise nach Deutschland organisiert, da ich meinen Pass in der netten spanischen Bar verloren hatte. Gut, zugegeben, du hast viel für mich getan.

Aber nein, das Leben ist nicht schwarz-weiß. Glaub mir, ich habe auch einiges mitgemacht: Schließlich habe ich seit der vierten Klasse jeden zweiten Tag abgewaschen! Wenn du gereizt von der Arbeit kamst, war ich die erste Blöde, die all die schlechte Laune abbekam. Wenn du dich mit Papa gestritten hast, habe ich weibliche Solidarität bewiesen. Und glaubst du wirklich, ich habe mein Zimmer für mich aufgeräumt? Glaubst du, ich habe den Wirsingeintopf für mich aufgegessen? Glaubst du, ich habe für mich Mathe gelernt? Nein, nein, nein, da war dein Wunsch mein Befehl.

Natürlich, Dankbarkeit ist angebracht, aber wohl von allen Seiten. Wann ist denn der Tag, an dem mir für das Tochtersein gedankt wird? Es gibt ihn nicht. Und um den Kindertag macht kein Mensch so einen Rummel. Weil wir auch den nicht brauchen: Wir sind eine Familie, geben und nehmen uns alle etwas. Und wenn ich mal Danke sagen will, mache ich das, wann ich will. Dafür brauch ich keine penetrante Wirtschaft, die mir einredet, dass du unheimlich enttäuscht wärst, wenn ich an Pralinen und Blumen einfach unbeeindruckt vorbeigehe. Und keinen blöden Muttertag.

Aber betrachte ich dein Konto der guten Taten fürs Töchterchen, muss ich zugeben: Du hast jede Aufmerksamkeit verdient. Und es tut mir ja auch nicht weh, also: Danke Mama, fürs Mama sein. Schon heute, ohne Blumen. Von Shirine Issa, 20 Jahre

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