„Einmal kurz stehen bleiben“

Foto: Fotolia/Peter Atkins Was zählt ist die Unterschrift unter dem Spendenvertrag, nicht der gute Zweck
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Was zählt ist die Unterschrift unter dem Spendenvertrag, nicht der gute Zweck

Agenturen werben Jugendliche an, um Spenden zu sammeln. Um die gute Sache geht es ihnen gar nicht.

 

Von Bill Schneider, 18 Jahre

 

Wer möchte schon in den Sommerferien an der Supermarktkasse sitzen oder im Fastfood-Restaurant fettiges Essen über den Tresen schieben? Viele Ferienjobs für Jugendliche sind langweilig. So genannte Fundraising-Agenturen versprechen das Gegenteil: Für eine aufregende Erfahrung, eine einmalige Bereicherung, sogar eine außergewöhnlich gut bezahlte Tätigkeit suche man viele junge Leute, heißt es. Da ich mich für einen Ferienjob interessierte, nahm ich an der Schulung einer dieser Agenturen in Berlin teil.

Fast alle großen Hilfsorganisationen beauftragen diese Firmen, Finanzmittel für sie zu beschaffen. Schließlich kostet Wohltätigkeit Geld, und viele Menschen kommen nicht von selbst auf die Idee, zu spenden. Die Agentur steckt die jungen Leute in das T-Shirt der Organisation, für die sie werben sollen. Mit der Aufschrift einer Umweltschutz- oder Menschenrechtsorganisation oder eines medizinischen Hilfswerks auf der Brust stehen sie in Einkaufsstraßen. Sie werben winkend und „Einmal stehen geblieben!“-rufend um die Aufmerksamkeit der Passanten und versuchen, sie zur Herausgabe ihrer Kontodaten zu bewegen. Je mehr Spender man gewinnt, desto besser wird man bezahlt. Dabei tut man so, als würde man für eine Hilfsorganisation und deren Sache arbeiten – in Wirklichkeit wird man von der Agentur bezahlt, die einfach den Auftrag hat, Geld zu beschaffen. Dass mit den Spenden sicherlich Gutes getan wird, möchte ich nicht bezweifeln. Die Methoden, mit denen die Fundraiser geschult werden, fand ich jedoch fragwürdig.

Ein Wochenende lang wurde uns von einem gut gelaunten Coach erklärt, wie man Spenden für hungernde Flüchtlinge oder aidskranke Kinder von jemandem bekommt, der gerade vom Power-Shopping kommt und genüsslich ein Zitroneneis isst. Diesem Zusammenprall zweier Welten, wird uns erklärt, sei mit einem einfachen Trick zu begegnen: Da man den potenziellen Spendern ja kein schlechtes Gewissen bereiten möchte, müssten Inhalte möglichst weit in den Hintergrund rücken. An dem Gespräch, das nur selten mehr als sechs Minuten dauert, haben Informationen über die eigentlichen Projekte, die der Passant mit seiner regelmäßigen Spende unterstützen soll, nur einen geringen Anteil. Die meiste Zeit solle man darauf verwenden, eine „persönliche Ebene“ herzustellen. Das bedeutet, Komplimente zu machen, als Mann Frauen gegenüber einen charmanten Spruch zum Make-up einzubauen. Dank dieser Gesprächstaktik und eines geschickten Übergangs zu dem Formular für eine Fördermitgliedschaft, auf dem die Kontoverbindung und eine regelmäßige Spende eingetragen werden, können viele Passanten nicht Nein sagen, obwohl sie eigentlich nur auf dem Weg zum Parkplatz waren. Nur bedrängendes oder gewalttätiges Verhalten sind dem Fundraiser verboten.

Diese „taktische Gesprächsführung“ gehört anscheinend auch in der Agentur selbst zum Umgang. Unser Coach war ein ständig blendend gelaunter Typ, der um jeden Preis einen lockeren Eindruck bei uns Jugendlichen erwecken wollte. Mit größter Verkrampfung bemühte er sich, keinen Satz zu sagen, ohne Jugendsprache einzubauen: Alles war megacool, krass chillig oder superkrass – obwohl er selbst der Jugend längst entwachsen war. Das merkte man auch seinen Hinweisen zum Studieren an: Wer Erfolg haben wolle, solle etwas mit Wirtschaft studieren, erzählte er uns. Meinen Einwand, ich fände Literaturwissenschaft interessant, tat er ab. Wie könne man damit Geld verdienen? Um Geld ging es in der Agentur ständig – das Geld der Passanten. Um den guten Zweck dagegen kaum. Diesen Ferienjob habe ich nicht gemacht.

 

 

 

 

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