An einem Londoner College bekommen Jugendliche die Chance, nochmal ganz von vorn anzufangen
Von Hanna Janatka, 17 Jahre
London, 8.45 Uhr, im Viertel Lewisham. Schüler, die sich mit Handschlag begrüßen, überall wird geredet, erzählt, gelacht. Autos fahren vor, mit offenen Fenstern, R&B und HipHop dröhnt durch die Luft, Mädchen mit langen Beinen auf High Heels schlendern Kaugummi kauend zum Schulhaus. Niemanden scheint es zu interessieren, dass der Unterricht längst begonnen hat.
Am Crossways Sixth Form College im Bezirk Lewisham im Südosten Londons wird ein neues Schulkonzept ausprobiert. Jedem Schüler wird die Möglichkeit geboten, unabhängig von den vorangegangenen Leistungen die letzten zwei Schuljahre gut abzuschließen und danach eventuell sogar zu studieren.
Lewisham zählt zu den Problembezirken der Metropole. Die Kriminalitätsrate ist hoch, das durchschnittliche Einkommen niedrig. Viele der Jugendlichen stammen aus sozial schwächeren Familien, haben viele Geschwister und einen Job, um die Familie finanziell unterstützen zu können. Viel Zeit bleibt da nicht, um sich um die eigene Bildung zu kümmern. Vielen fehlt aber auch die Motivation. Es ist sehr leicht, auf die schiefe Bahn zu geraten, Drogen spielen eine große Rolle in Lewisham.
Lea, eine 18-Jährige aus der Karibik hat selbst erfahren, welche Folgen Drogenkonsum haben kann. Ihre Mutter war kokainabhängig und wurde oft gegen ihre Tochter handgreiflich. Das Jugendamt entzog ihr das Sorgerecht, Lea kam in ein betreutes Wohnheim. Noch lange danach streunte sie nachts ziellos herum, machte zwiespältige Bekanntschaften und demolierte städtisches Gut, um Wut abzubauen. Heute ist es ihr größter Traum, einen guten Abschluss zu machen, um dann in das Land ihrer Vorfahren zurückzukehren und sich bei der Entwicklungshilfe zu engagieren.
Für viele ist das Crossways die letzte Chance. Die meisten der Lehrer sind sehr jung und motiviert. Ihr Ziel ist es, den Schülern die Kraft zu schenken, auch weiterhin an Träume zu glauben. „Wenn man nach London kommt und genau hinschaut, und damit meine ich nicht nur das touristische London, sondern eben auch Bezirke wie Lewisham, dann versteht man die Welt ein bisschen besser“, sagt Kunstlehrer Chris Edmondson. „Aber zwischen all den Misserfolgen, die wir mit vielen Schülern haben, gibt es doch auch einige, die uns überraschen und daran glauben lassen, dass auch sie es schaffen werden. Das ist genau das, was uns weitermachen lässt.“