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Ihr wollt auf Amazon shoppen? Dann macht das zu Hause – nicht im Hörsaal

Immer mehr Studenten begreifen das Studium weniger als Lernprozess, sondern als Mittel, um sich ein schönes Leben zu machen. Ein Kommentar

Wer studiert, kommt nicht an ihnen vorbei. In jeder Vorlesung schnappen sie einem den letzten Sitzplatz weg, nur um zu tun, wofür sie gekommen sind: nichts. Hier ist nicht die Rede vom viel geächteten Bummelstudenten, der 20 Semester für seinen Abschluss braucht. Diese Spezies wird seit Einführung des Bachelor-Master-Systems nur noch selten gesichtet. Gemeint ist eine andere aus der Masse hervorstechende Art von Studis, die das Studium weniger als Lernprozess begreift, als vielmehr die damit einhergehenden Vorteile und Privilegien genießen möchte.

16 Wochenstunden, klug verteilt auf fünf Tage, machen es sowohl ihnen selbst als auch den allwöchentlich anrufenden Eltern leicht, stolz zu sein. Das Kind studiert doch, ist jeden Tag an der Uni, alles gut. Talent oder flammendes Interesse waren nicht die Gründe, sich für das gewählte Fach einzuschreiben. Die Freiheit eines langen und „horizonterweiternden“ Studentenlebens, gefüllt mit nächtlichen Netflix-Marathons und verschlafenen Vormittagen, war verlockender.

Beobachten lässt sich diese Grundeinstellung am besten in der Praxis: Seinen Kommilitonen einmal bewusst bei der Vorbereitung auf die kommenden zwei Stunden auf die Finger zu schauen, ist höchst interessant – und zugleich deprimierend. Da wird nicht der Inhalt prall gefüllter Herschel-Rucksäcke in Form von Büchern, Blöcken und Stiften ausgepackt, um die folgenden Weisheiten des Dozenten für die Ewigkeit niederzuschreiben. Zwar findet neben der Mate auch das glänzende MacBook seinen Weg auf das Pult, jedoch nur, weil Zalando, Amazon, Instagram und Facebook jenen, die Vorlesungen als Mittel zur Befriedigung ihres Gewissens ansehen, weitaus mehr Unterhaltung bieten als der Prof.

Was macht ihr hier eigentlich?

Das Gewissen. Allzu oft die Triebkraft, um sich frühmorgens aus dem Bett zu quälen und den langen Uniweg anzutreten. Keine Frage, solche Tage gibt es. Doch werden sie zur Gewohnheit, wirft das über kurz oder lang die Frage auf: Was macht ihr hier eigentlich? Geht arbeiten, wechselt das Fach, löscht euren Amazon-Account. Tut bitte etwas und erspart den restlichen 80 Prozent eurer Kommilitonen überfüllte Seminare, desinteressierte Banknachbarn und öffentlich einsehbares Unterwäscheshopping während der Vorlesung, wobei sich letzteres ganz nebenbei auf beide Geschlechter bezieht.

Ob uns das nicht egal sein kann? Natürlich, kann es. Es geht uns nichts an. Nichtsdestotrotz endet leider für jeden von uns irgendwann der Unialltag, man trifft sich im Job wieder und spätestens dann bekommt man die Rechnung dafür serviert, vielleicht doch einmal zu oft auf Zalando.de geshoppt zu haben.

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