Tunnelblick: Wer unter Einfluss psychoaktiver Substanzen lernt, nimmt seine Umgebung schnell nicht mehr wahr – und interessiert sich auch nicht dafür. Foto: FOTOLIA/CONTRASTWERKSTATT

Lernen wie ein Automat: Immer mehr Studierende greifen zu leistungssteigernden Mitteln

„Du wirst irgendwie zum Vampir“: Laut einer Studie entscheidet sich jeder fünfte Student, mithilfe von psychoaktiven Substanzen dem Lernerfolg auf die Sprünge zu helfen. Was bedeutet Hirndoping im Lernalltag?

Es ist Klausurenphase. In den Uni-Bibliotheken verstecken sich Studenten hinter ihren Bücherbergen. Viele von ihnen stundenlang. Sie beginnen ihre Lern-Einzelhaft pünktlich zur Öffnungszeit und gehen erst in den späten Abendstunden. Ihr Treibstoff: Cola, Kaffee, Mate. Die koffeinhaltigen Getränke sind der Verkaufsschlager in den Cafeterien. Aber was passiert, wenn der Druck so hoch ist, dass auch der stärkste Energydrink nicht mehr wirken will.

Laut einer Studie der Universität Mainz entscheidet sich mittlerweile jeder fünfte Student, mithilfe von psychoaktiven Substanzen dem Lernerfolg auf die Sprünge zu helfen. Genutzt werden dafür neben Modafinil, einem Medikament gegen die Schlafkrankheit, auch illegale Amphetamine, besser bekannt als Partydrogen. Besonders beliebt: das verschreibungspflichtige Methylphenidat. Der Wirkstoff befindet sich zum Beispiel in Ritalin, mit dem ADHS-Patienten behandelt werden, und beeinflusst stark die Konzentrationsfähigkeit. Wer die kleinen Pillen schluckt, kann über Stunden lesen oder lernen. Unermüdlich.

Es klingt wie ein Märchen unserer Leistungsgesellschaft, Studenten verwandeln sich in Arbeitsmaschinen. Ein Zaubermittel sind die Medikamente jedoch nicht. „Psycho-Stimulanzien steigern weder den IQ, noch die Kreativität“, erklärt Isabella Heuser, Direktorin der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Charité. „Die Substanzen bewirken eine Aufmerksamkeitsfokussierung und machen wach. Wie Koffein oder Nikotin. Daher werden sie vor allem von Studierenden der Fächer genutzt, die ein hohes Lernpensum erfordern: Medizin, Pharmazie, Jura.“

„Du wirst irgendwie zum Vampir, keine Müdigkeit, kein Hunger, keine sozialen Bedürfnisse.“

Klara (Name von der Redaktion geändert) studiert ein geisteswissenschaftliches Fach und passt somit eigentlich nicht in die Zielgruppe der Neuroenhancer. Dennoch: Das Lesepensum ist hoch. Ihr Erfolgsdruck ist es nicht minder. Wenn die Jobaussichten schon schlecht sind, will Klara wenigstens mit guten Noten brillieren. Dafür nimmt sie Medikinet, ein Methylphenidat, das sie von Freunden mit Medizinerkontakten bekommt. An einem intensiven Tag in der Bibliothek schluckt sie 40 Milligramm – die Tagesdosis für Patienten beträgt 60. Das Ergebnis stellt sie mehr als zufrieden. „Früher war ich zu gestresst, um überhaupt anzufangen. Dann saß ich in der Bibliothek und habe nach zwei Seiten überlegt, was ich noch aus dem Supermarkt brauche.“ Seit Klara Psycho-Stimulanzien konsumiert, hat sich ihr Leseverhalten grundlegend verändert. „Es gibt nur noch mich und diesen Text. Ich bin wie ein Automat, der aufs Lesen programmiert wurde.“ Außerdem spürt sie eine deutliche Motivationssteigerung. Das ist kaum verwunderlich, wenn man bedenkt, dass die Medikamente ähnlich wie Kokain wirken – in einer Mikrodosis. „Da ist keine Angst mehr. Wenn ich gedoped bin, setze ich mich einfach vor den Bildschirm und lege los. Ich habe richtig Bock darauf.“ Nebenwirkungen bemerkt Klara allerdings auch, besonders angenehm sind diese nicht. „Du wirst irgendwie zum Vampir, keine Müdigkeit, kein Hunger, keine sozialen Bedürfnisse. Abends fällt es mir oft schwer, einzuschlafen.“ Das Schlimmste sei aber die emotionale Leere. „Ich kann mich für nichts mehr begeistern, will niemanden anrufen. Welche Farbe mein T-Shirt hat, welche Musik läuft – scheißegal.“ Nach den Klausuren möchte sie auf jeden Fall wieder aufhören. Die Umstellung stellt sie sich leicht vor, wenn der Prüfungsstress erst vorbei ist.

Die Frage ist, ob wir wirklich so leben wollen.

Dass die Präparate wie auch die illegalen Amphetamine ein Abhängigkeitspozential haben, ist bereits bewiesen. Welche gesundheitlichen Risiken auf die Dauer bestehen, nicht. Darin sieht Isabella Heuser auch das Problem beim Neuroenhancement – die Folgen sind bisher kaum überschaubar. Trotzdem ist sie gegen eine Dämonisierung des Hirn-Dopings. Dies sei keine treffende Bezeichnung, denn es handele sich dabei nicht um eine Täuschung. Nur der Verkauf der verschreibungspflichtigen Medikamente sei illegal.

Ist die Zukunft unseres Lernens nur ein paar Langzeitstudien entfernt? Auf gute Ergebnisse folgt die Legalisierung und bald können wir uns mit den lila-weißen Pillen oder runden Tabletten selbst optimieren? Die Frage ist, ob wir wirklich so leben wollen. Als Leistungszombies, die einander über Formeln und Gesetze völlig vergessen.

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Kategorien Schule & Zukunft Uni & Ausbildung

Schreiben ist meine Neurose. Ich mache das wirklich nicht freiwillig. An pathologischer Schreibwut leide ich etwa seit meinem neunten Lebensjahr. Heute bin ich 24. Sie äußert sich in der übermäßigen Produktion von Texten, dabei reagiere ich sensibel auf gute Geschichten. Schreiben ist mein Plüsch–Airbag gegen Schleudertraumata im täglichen Gedankenkarussell, Weckglas für klebrig-süße Memoirenmarmelade und die doppelte Aspirin am Morgen nach einem exzessiven Empfindungsrausch. Ich habe eine Schwäche für Präpositionen mit Genitiv, Schachtelsätze und Ironie. In die Redaktion komme ich nur, weil es da umsonst Tee gibt.