Zu Hause – wo genau ist das denn nun?

Gedanken einer Studentin, die gerade bei den Eltern ist

Es ist 6.15 Uhr. Ich stehe an Gleis 13 Richtung Karlsruhe, lasse noch einmal das morgendliche Treiben am Hauptbahnhof auf mich wirken, atme tief ein und schenke dem „Motz“-Verkäufer mein halbes Brötchen. Pling. What’s-App von Mama. „Sag mal, hast du das Ticket eingesteckt? Der Opa holt dich ab vom Bahnhof, ich freu mich auf dich!“ Es folgen einige Emojis. „Hab das Ticket, Mama. Hast ja gestern schon drei Mal deshalb angerufen. Und dass ich meine Regenjacke mitnehmen soll und den Müll in meinem Zimmer runterbringe. Wir sehen uns gleich.“

Mit 18 bin ich von zu Hause ausgezogen und kam auf Umwegen vor zwei Jahren ins große Berlin. Seit vier Jahren manage ich also bereits selbstständig mein Leben, ohne Mamas Erinnerungen – auch wenn ich noch immer unsicher bin, in welches Fach der Spülmaschine welches Pulver kommt. Zurück in der Heimat fühlt es sich an, als sei die Zeit stehen geblieben, wenn Mama mal wieder erklärt, wie Maultaschen warm gemacht werden. Der Zettel mit den Tagesaufgaben auf dem Küchentisch erkennt das letzte Fünkchen mühsam erarbeiteter Selbstständigkeit ab.

Ein Wochenende lang geht es vielleicht gut, wieder Muttis Goldschatz und Papas Prinzessin zu sein.

Ich höre die Schlüssel in der Tür. Gerade noch faul auf der Coach gelümmelt, springe ich panisch mit der Zahnbürste im Mund auf und versuche, schnell noch die Spülmaschine auszuräumen. Déjà-vu.

Ein Wochenende lang geht es vielleicht gut, wieder Muttis Goldschatz und Papas Prinzessin zu sein. Aber keine zwei Wochen. Warum gehören plötzlich die Tassen in den anderen Schrank? Dreht sich die Welt daheim etwa weiter? Wo ist denn nun die Heimat? In Berlin, bei den neuen Freunden, beim Studium, der Selbstständigkeit? Oder zu Hause, wo Papa immer noch jeden Sonntag die Brötchen holt und Opa überraschend mit sechs Gläsern Nutella vor der Tür steht, weil es die bei Rewe im Angebot gab?

„Zu Hause bist immer noch du“, singen AnnenMayKantereit. Sie haben recht. Freiheit hin oder her. Es tut gut, die immer gleichen Witze zu hören, zu sehen, dass die olle Lieblingstasse noch existiert, und zu spüren, ein Teil des neuen Ganzen zu sein. Egal, wie viele Kilometer einen trennen – fünf Euro ins Phrasenschwein –, Heimat ist da, wo das Herz ist.

Von Ana Pecanic, 22 Jahre

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