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Klartext: Wo ist der politische Kampfgeist am OSI geblieben?

Cana studiert Politikwissenschaften am Otto-Suhr-Institut, dem Symbol des studentischen Widerstandes. Doch wo links draufsteht, ist nicht immer links drin. Ein Kommentar

Von Cana Durmusoglu, 20 Jahre

Seit Rudi Dutschke und die 68er-Bewegung hier gegen die überholte Politik der Regierung protestierten, ist das Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Symbol des studentischen Widerstandes. Die Wände der Vorlesungssäle sind noch immer mit Antifa-Stickern tapeziert und die Studentenpartys finden im Roten Café statt. Doch wie so oft folgt auf große Erwartungen schnell große Ernüchterung.

In der ersten Sitzung meines Einführungs-Tutoriums sollen wir Regeln für „konstruktive Debatten“ festlegen. Ein Student mit Dreadlocks und Pluderhose meint sofort, eine quotierte Redeliste, wie es sie auch bei den Grünen gibt, sei besonders wichtig. Solche Listen sollen den -Redeanteil von Frauen in Gruppen unterstützen, weil nur dann ein Mann reden darf, nachdem eine Frau dran war. Keine schlechte Idee, wenn auch für 20 Studierende etwas überzogen. Das eigentliche Problem war, dass der Kommilitone mit den Dreadlocks auf die Bitte der Dozentin, -seinen Vorschlag den anderen zu erklären, überhaupt keine Ahnung hatte, was eine quotierte Redeliste eigentlich ist.

Wie wichtig einigen männlichen Politikwissenschaftsstudenten Feminismus tatsächlich ist, zeigte sich mir auch in Gruppenarbeiten. Trotz mehrmaliger Aufforderung weigerten sich meine Kommilitonen, Vorschläge, die nicht von ihnen, sondern von einer Frau kamen, aufzunehmen.  Weil ich nicht glauben konnte, dass jemand, der sich kurz zuvor noch leidenschaftlich zum Feminismus bekannt hat, plötzlich ein so offensichtlich chauvinistisches Verhalten an den Tag legt, habe ich mich bei Mitstudentinnen umgehört. Die meisten hatten schon Ähnliches erlebt.

Als wir dann in einer anderen Stunde über den deutschen Völkermord an den Herero und Nama während der Kolonialzeit sprachen, erklärte eine (bei den Jusos aktive) Studentin, ein rassistisches Weltbild sei 1904 wissenschaftlich anerkannt gewesen und man würde in einigen Jahren vielleicht genauso negativ über die Demokratie sprechen. Otto Suhr hätte dieser Vergleich sicher nicht gefallen. Bei einer späteren Diskussion kommt ein junger Mann zu dem Schluss, dass die AfD nur deshalb so stark sei, weil die Medien zu positiv über den Islam berichten würden. Da würde ja selbst er, der absolut kein AfD-Fan sei, stutzig werden. Viele nicken zustimmend. Sie haben wohl nie selbst die Formen von Diskriminierung erlebt, für die sie in den Diskussionen eine Expertenrolle beanspruchen. Aber ich will fair bleiben. Wie so oft sind es die lauten Minderheiten, die die Atmosphäre bestimmen. Viele Studierende sagen nämlich einfach gar nichts. Dass die Beteiligung an den Wahlen des Studierendenparlaments vor einigen Tagen bei den Politik- und Sozialwissenschaften bei nur 11,76 Prozent lag, sagt wohl genug über den politischen Kampfgeist, der heute am OSI herrscht.

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