Wo es auf Erfahrung nicht ankommt

Trotz zahlreicher Praktika und studienrelevanter Ausbildungen schafft es Friederike nicht auf die Uni. Der NC ist schuld

von Vivian Yurdakul, 20 Jahre

Friederike Pohls Herz schlägt für die Kardiologie. Seit sie vor fünf Jahren ihr Abitur gemacht hat, bewirbt sich die 22-Jährige an Universitäten in ganz Deutschland um einen Medizinstudienplatz. Erfolglos. Jahr für Jahr scheitert sie an dem hohen Numerus Clausus (NC). Obwohl sie keine schlechte Schülerin war. Ihr Abiturdurchschnitt liegt im Zweierbereich. Darüber hinaus wäre Friederike für das Studium überdurchschnittlich qualifiziert. Die Zeit nach dem Abitur nutzte sie, um zuerst eine Ausbildung zur Rettungssanitäterin, anschließend zur Rettungsassistentin zu absolvieren. Hinzu kommen zahlreiche Praktika im medizinischen Bereich. Von den Bildungsstreiks, die gerade wieder begonnen haben, wird sie nicht profitieren. Dort wird es um Studiengebühren und überfrachtete Bachelor-Studiengänge gehen. Das Problem, von dem Friederike betroffen ist, kommt ebenso wenig zur Sprache, wie sonst irgendwo im akademischen Betrieb. Denn wer bereits Student oder Lehrender ist, muss sich keine Sorgen mehr um den Zugang zum Studium machen.

12 Semester Wartezeit

Besondere Qualifikationen, die ein Studienbewerber für sein Fach mitbringt, werden in Deutschland in Bewerbungsverfahren kaum berücksichtigt. Wer etwa Publizistik studieren möchte, hat kaum Chancen, sich praktische Erfahrungen im Medienbereich anrechnen zu lassen. Es zählt allein der NC. Der richtet sich nach der Anzahl der Bewerbungen: Je mehr Aspiranten einen Studiengang absolvieren wollen, desto höher ist er. Für Anwärter auf das Fach Medizin bedeutet das, dass sie ihr Abitur in der Regel mit einem Schnitt im Einserbereich abgelegt haben müssen. „Ich bin sicher, dass ich mit meinen Ausbildungen und meiner medizinischen Erfahrung ebenso gut Medizin studieren könnte, wie jemand mit einem Einser-Abitur“, findet Friederike. Das sehen jene, die die Regeln bei der Studienplatzvergabe machen, offenbar anders. Auf Nachfrage teilte die zuständige Senatsverwaltung für Bildung knapp schriftlich mit: „Die Ausbildung zum Rettungssanitäter hat unmittelbar keinen Einfluss auf eine Zulassung.“ Friederike hat inzwischen zehn Wartesemester hinter sich, nach acht hätte sie eigentlich ein Anrecht auf einen Studienplatz gehabt, doch die Wartezeit wurde zwischenzeitlich auf zwölf Semester angehoben. „Das war wie ein zusätzlicher Schlag ins Gesicht“, sagt sie. Dennoch hat sie sich wieder beworben. Und diagnostiziert sich selbst während des Wartens stetig stärker werdendes Herzklopfen. (Vivian Yurdakul, 20 Jahre)

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Kategorien Schule & Zukunft Uni & Ausbildung

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