George Floyd
"I can't breathe" - "Ich kann nicht atmen" steht auf diesem Graffiti zu Ehren George Floyds auf Guadeloupe.

#BlackLivesMatter: So erlebt ein weißer junger Mann Alltagsrassismus auf Guadeloupe

Immer wieder wurde unser Autor, ein junger weißer Mann, auf Guadeloupe in der Karibik Zeuge von Alltagsrassismus, der ohne Konsequenzen blieb. Selbst wurde er bereits mehrfach von Institutionen privilegiert behandelt. Der Mord an dem Afroamerikaner George Floyd durch Polizisten in den USA hat etwas verändert.

Von Ben Marc

Unser Autor lebt zurzeit auf Guadeloupe im Karibischen Meer. Die Insel gehört zu Frankreich.

Nach dem Mord am unbewaffneten Afroamerikaner George Floyd durch vier Polizisten in Minnesota am Montag vor zwei Wochen protestieren Menschen überall in der westlichen Welt gegen die Diskriminierung von Schwarzen und ethnischen Minderheiten. Doch wie wirken sich internationale Antirassismus-Proteste auf eine Gesellschaft aus, die mehrheitlich schwarz ist?

Als Teil einer solchen Gesellschaft wurde ich mehrfach Zeuge von Rassismus gegenüber Schwarzen. Erstmals lebte ich, ein weißer junger Mann, im Jahr 2018 im Rahmen eines Erasmussemesters auf der zu Frankreich gehörenden Karibikinsel Martinique mit etwa 90 Prozent schwarzer Bevölkerung. Im Februar 2020 zog ich dann auf die Schwesterinsel Guadeloupe. In diesen ehemaligen Kolonien mit brutaler Sklavereivergangenheit ist Rassismus gerade deshalb kein alltägliches Gesprächsthema, da er zu offensichtlich ist, um erwähnt werden zu müssen. Naiv betrachtet dürfte Diskriminierung gegen eine schwarze Mehrheit eigentlich keinen Bestand haben, da Schwarze in Positionen fast aller Ebenen vertreten sind. Die Realität ist jedoch leider anders.

Rassismus ist allgegenwärtig

Im Zuge meiner Forschung für meine Bachelorarbeit zu den auf den Inseln gesprochenen, unter Sklaverei entstandenen Sprachen befragte ich bislang fast 500 zufällige Personen. Hierbei beleidigte mich eine weiße Frau, weil sie mein Forschungsthema einem Weißen unwürdig fand und ein weißer Mann drohte mir aus selbigem Grund gar mit Fäusten. Doch neben privaten Konfrontationen ist Rassismus auch an offiziellen Stellen allgegenwärtig. Aufgrund der durch die Coronakrise geltenden Reisebeschränkungen hätte ich auf eine Nachbarinsel nur nach sorgfältiger Prüfung meiner Beweggründe reisen dürfen. Statt meine Anträge zu kontrollieren, ließ man mich am Flughafen aber schlichtweg passieren und somit als eine von nur 16 Personen an diesem Tag einreisen, wohingegen mehrere schwarze Passagiere abgewiesen wurden.

Dies war nicht das einzige Mal, das Institutionen mich als weißen Mann privilegiert behandelten. Eines Abends wurden für eine Verkehrskontrolle alle Fahrzeuge von der Inselautobahn heruntergelotst. Als Polizisten in jedes der dutzenden Autos leuchteten, winkten sie mich als einzigen hinaus und schickten mich zurück auf die sonst so volle Autobahn, welche ich dann für mehrere gespenstische Kilometer ganz für mich allein hatte.

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Als Weißer auf den Demonstrationen

All diese Fälle von Alltagsrassismus blieben ohne Konsequenzen, doch der Mord in Minneapolis löste auf der Insel große Empörung aus. Ein Künstler erstellte prompt ein Graffiti zu Ehren George Floyds, ein knieender Protest ereignete sich vor einem Sklavereidenkmal und hunderte Personen fanden sich spontan zu einer Kundgebung zusammen, zu der auch vier weiße Kommilitoninnen und ich gingen. Zwar verstanden wir aufgrund schlechter Akustik und sprachlicher Barrieren nicht alle Forderungen, erhielten auf unsere Protestschilder aber viele positive Reaktionen und somit das Gefühl, zumindest ein Symbol der Solidarität gesetzt zu haben.

Was sich verändert hat – und was sich hoffentlich ändert

Die öffentlichen Proteste manifestierten sich später in vielerlei persönlicher Hinsicht. Bei meinen fortgeführten Straßenbefragungen bemerkte ich beispielsweise einen drastischen Abfall der Teilnahmebereitschaft. Während vor dem Mord Floyds mehr als 80 Prozent der Angesprochenen an den Umfragen hatten mitwirken wollen, woran selbst die Coronakrise nichts änderte, waren es nach der Protestbewegung nur noch knapp über 50 Prozent. Zunächst hatte ich Angst, dass der Mordfall die Gesellschaft weiter spalten und Vorurteile Weißen gegenüber vorantreiben würde. Inzwischen glaube ich aber, dass die anhaltenden Debatten über Diskriminierung und Selbstbestimmung viele medial vernetzte junge schwarze Menschen ermutigen, einem Weißen eine Bitte einfach selbstbewusster abzuschlagen, was zweifellos gerechtfertigt ist.

Letztendlich werden Schwarze hier zwar nicht von der Polizei ermordet, aber von weißen Kartellen und Eliten sozioökonomisch benachteiligt und alltäglich diskriminiert. Wer sich als weißer Mensch wirklich gegen Rassismus und Diskriminierung einsetzen will, sollte damit anfangen, eigene Privilegien als solche zu erkennen und auf sie aufmerksam zu machen. Kein unkontrolliertes Islandhopping machen zu können, auch mal in eine langwierige Verkehrskontrolle zu geraten oder im persönlichen Kontakt auf ehrliche Ablehnung zu stoßen ist nichts im Vergleich zur dauerhaften Benachteiligung einer schwarzen Mehrheit, die vielfach nicht einmal auf ihrer eigenen Insel wertgeschätzt wird.

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Kategorien Gesellschaft Politik Welt Zwischendurch

Ende 2013 wurde ich Mitglied der Jugendredaktion. In der Zwischenzeit hat sich mein Leben ganz schön verändert. Doch noch immer denke ich gern um die Ecke und habe oft unkonventionelle Vorstellungen. Die Tätigkeit bei der Zeitung hilft mir, diese anderen verständlich zu machen und selbst zu hinterfragen. Dabei verirre ich mich manchmal im Detail, gelange letztendlich jedoch weiter heraus als ich zuvor gewesen war.