Klimaaktivist*innen und Veganer*innen müssen sich häufig beschimpfen lassen. Warum ist das so? Antworten könnte Niklas Luhmann liefern.
Heuchler, Lügner, Hochstappler! Derartigen Beschimpfungen müssen sich vor allem Klimaaktivisten und Veganer immer öfter unterziehen. Insbesondere grüne Berühmtheiten wie Greta Thunberg, Luisa Neubauer, Madeleine D. Alizadeh und Yovana Mendoza werden hierbei unter die Lupe genommen. Penibel wird nach bodenlosen Doppelmoralen geschnüffelt, bei dem kleinsten Fehltritt beißen die Kritiker zu. Jedes Fehlverhalten wird akribisch dokumentiert und in sozialen Netzwerken verbreitet. Findet sich kein Problem vor, denkt man sich zur Not etwas aus.
Doch was ist dran an diesem Phänomen? Warum werden ausgerechnet Menschen, die sich für einen nachhaltigen Lebensstil einsetzen, von den Kritikpfeilen gejagt?
Womöglich liefern uns die Schriften vom Soziologen Niklas Luhmann die Antwort: Innerhalb eines Systems kommuniziert ein Mensch eine gewisse Selbstdarstellung mit den eigenen Werten – die er oder sie als Charaktereigenschaften vertreten möchte. Widerspricht das Verhalten dieses Menschen seinen voran kommunizierten Werten, so enttäuscht er die Verhaltenserwartungen der anderen Mitglieder. Das Mitglied muss eine verdammt gute Erklärung für die Verhaltensabweichung liefern.
Die, die den Spiegel hält, wird angegriffen
Das würde erklären, warum man die Roh-Veganerin Yovana Mendoza mit Kritik überflutet wurde, nachdem sie beim Fisch essen erwischt wird. Hauptkritikpunkt war das Verschweigen ihrer neuen Ernährungsgewohnheiten, was wiederum zwei ihrer voran kommunizierten Werten widerspricht: Transparenz und Rohveganismus.
Aber warum wird dann eine Greta Thunberg kritisiert, die seit ihrem achten Lebensjahr versucht, stets umweltfreundlich zu handeln? Greta belehrte mit ihren Reden die erwachsenen Politiker*innen und gab ihnen die politische Verantwortung für das Klima, obwohl sie selbst noch die Schule besucht. Gerade weil sie den Politiker*innen direkt einen Spiegel vor ihr Antlitz hält, wird sie von ihnen kritisiert.
Diejenigen, die sich ihr eigenes politisches Versagen eingestehen können, befürworten das Engagement der Jugendlichen. Politiker*innen, deren Partei kein beeindruckendes klimapolitisches Konzept liefert (siehe Paul Ziemiak, CDU), kritisieren es. Lücken im eigenen politischen Programm einzugestehen ist schwer und wird in manchen Fällen verdrängt. Die simpelste Lösung ist, die Person anzuprangern, die den Spiegel hält und auf die eigenen Fehler verweist.
Alibi-Argumente und persönliche Angriffe können dabei behilflich sein. Allerdings bietet derartige Kritik keinen Raum für einen konstruktiven Dialog. Letztlich ist es die Unzufriedenheit mit der eigenen Person, die man am Gegenüber ablehnt.