Angst vor der Abschiebung


Unter den Asylbewerbern sind viele Familien mit Kindern. Foto: DPA / Patrick Pleul

Die Zahl der Asylbewerber steigt. Ein Projekt zeigt Jugendlichen den Alltag in einer Flüchtlingsunterkunft


Von Paul Esra Martin, 21 Jahre


Das ist mein Palast“, sagt Martial aus Kamerun lächelnd, als er vor dem Asylheim in Senftenberg steht. Es ist ein großes, gelbes Gebäude, das ganz am Ende des Ortes liegt. Eineinhalb Jahre ist Martial nun in Deutschland, in der „schlimmsten Situation meines Lebens“, wie er sagt.


14 Jugendliche hat Martial an diesem Sonnabend am Bahnhof Senftenberg abgeholt, um sie auf eine Besichtigung durch den Ort mitzunehmen, die vor dem Asylheim endet. Organisiert wurde die Fahrt von „Academy“, einem Projekt, dessen Teilnehmer sich einmal im Monat zum Diskutieren über Politik in einem Café im Wedding treffen. Auch die deutsche Asylpolitik ist in letzter Zeit häufig ein Thema. Denn die Zahl der Asylbewerber steigt im Vergleich zum Vorjahr. Die Academy-Mitglieder sind nach Senftenberg gekommen, um zu erfahren, wie Asylanten in Deutschland leben. Denn ihre Situation wird öffentlich kaum angesprochen.


Beim Wachschutz des Heims müssen alle Besucher ihren Personalausweis vorlegen, bevor sie eingelassen werden. „12,03 Quadratmeter“ steht auf einem Schild an der Zimmertür von Martial. In dem Zimmer sind zwei Doppelstockbetten, ein kleiner Schrank, ein Tisch, drei Stühle. Auf dem Tisch liegen Materialien zum Deutschlernen und ein Buch: Jean-Paul Sartres „Die schmutzigen Hände“ auf Französisch. Vier Menschen leben auf den zwölf Quadratmetern, unter ihnen Ferdinand, der wie Martial aus Kamerun kommt. Beide wollen Deutsch lernen, aber das ist kaum möglich – obwohl es an Zeit nicht mangelt. Doch mit Deutschen in Kontakt zu kommen sei schwer, sagt Ferdinand. Und, dass es wichtig sei, als Flüchtling seine Rechte zu kennen. Es komme immer wieder vor, dass Ärzte, Polizisten oder jemand in der Ausländerbehörde sagt: „Ich kann dich abschieben.“ Das mache Angst, meint Ferdinand – und stimmt nicht einmal. Die einzige Behörde, die darüber entscheidet, ist das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge.


Martial erzählt, wie es ist, mit drei Menschen sein Zimmer zu teilen, die zwar in seinem Fall auch alle aus Kamerun kommen, aber trotzdem unterschiedliche Kulturen haben, und davon, wie es ist, nur von Gutscheinen zu leben. 200 Euro bekommt jeder im Monat für Lebensmittel, in Form von Gutscheinen. Die sind aber nur in der näheren Umgebung und nur in bestimmten Läden einlösbar. Viele Dinge, die in Kamerun zum Grundbedarf gehören, gebe es dort nicht, die könne man nur in Afro-Shops kaufen. Er erzählt von einer Situation an der Supermarktkasse, die fast alle hier schon erlebt haben: Wenn er den Gutschein abgibt, um zu bezahlen, muss die Kassiererin telefonieren, um das genehmigen zu lassen. Hinter ihm wird die Schlange immer länger, die Leute werden ungeduldig, beginnen zu tuscheln.


Wer nicht auf die Gutscheine angewiesen sein will, benötigt eine Arbeitserlaubnis, doch auch die garantiert nicht, dass man seinen Lebensunterhalt verdienen kann. Martial und Ferdinand kennen Flüchtlinge, die inzwischen eine Arbeitserlaubnis haben, in ihrer Umgebung jedoch keine Arbeit finden. Dort, wo es welche gibt, dürfen sie nicht hin. Denn Asylanten haben eine Residenzpflicht, das heißt, sie dürfen sich nur in dem Gebiet aufhalten, für das ihre Ausländerbehörde zuständig ist.


Im Aufenthaltsraum im Erdgeschoss des Heims sitzen Erwachsene und Kinder. Die Jugendlichen spielen Tischtennis und malen. Als es schließlich Zeit ist zu gehen, kommen einige Kinder mit bis zur Tür und winken lange. Sie haben es nicht eilig. Den Großteil ihrer Zeit verbringen sie damit, zu überlegen, wie sie die Zeit verbringen sollen.


Academy im Internet: www.facebook.com/catchersacademy

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