Die Stadt, die einen Beschwerdechor braucht


Foto: Arno Burghi/dpa/lbn


von Jaromir Simon, 19 Jahre


Berlin ist schön. Der Sommer hier wird von unendlich vielen Regenwolken dominiert. Die Jutebeutel, Röhrenjeans und Hornbrillen als Uniformierung der Individuellen verleihen dem Image vom kreativen Berlin Glaubwürdigkeit. Der Geruch von Hundeexkrementen, die man mit etwas Glück sogar unter den eigenen Schuhsohlen kleben hat, gibt der Stadt ihre ganz eigene Note. Die Schönheit dieser Aspekte drängt sich dem Leser nicht unbedingt auf den ersten Blick auf. Beim zweiten, dritten und vierten Blick jedoch … tut sie es immer noch nicht. Verdammt, perfekte Städte gibt es also doch nicht.


Missmut über diese und andere kleine Unannehmlichkeiten des Berliner Alltags steigt auf. Was tun? Ausharren kommt nicht in Frage, das Ärgernis ist zu groß. Sollte man sich um Vergeltung bemühen? Ist Selbstjustiz der Schlüssel zum Berliner Glück? Autoreifen lassen sich einfacher aufschlitzen als man denkt.
Nein, so einfach geht das nicht. Wir leben in einem funktionierenden Rechtsstaat und können glücklich darüber sein. Bequemer und befreiender für den Geist ist es zu nörgeln. Ein Balsam für aufgeriebene Seelen. Jammern, Mosern, Zetern und Meckern sind großartige Errungenschaften der Menschheit. Nicht umsonst gibt es so viele Wörter dafür.


Gerade die Deutschen haben schon längst das hohe Potenzial dieses Volkssports erkannt und ausgenutzt. Am 17. September, einen Tag vor den Abgeordnetenhauswahlen, soll deshalb im Rahmen des 20. Geburtstags der Literaturwerkstatt der Berliner Beschwerdechor auftreten. In der Kulturbrauerei wird er ein Beschwerdelied über die Hauptstadt singen. Die Vorlage für den Text liefern die Berliner selbst, indem sie ihre Beschwerden an ein Dichterkollektiv der Literaturwerkstatt einsenden. Die Idee, auf diese Art und Weise Dampf abzulassen, wurde weltweit schon vielmals erfolgreich umgesetzt, nun hält sie in Berlin Einzug. Ein großer Schritt für alle Nörgler. Schließlich ist nun amtlich: Meckern ist Kunst!


Beschwert euch auf www.literaturwerkstatt.org

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