Sea-Watch 3
In ihrem Studium der Islamwissenschaft lernt die 28-jährige Mattea Weihe arabisch. Seit 2017 ist sie in der Seenotrettung aktiv.
Interview

Mattea Weihe von der „Sea-Watch 3“: „Uns gibt es nur, weil die EU gescheitert ist – und dann unterstützt sie uns nicht einmal“

Ihren Job müsste eigentlich die EU machen, sagt Mattea Weihe (28), Crewmitglied der „Sea-Watch 3“. Weil die in der zivilen Seenotrettung versagt, fährt die Studentin auf See. Seitens der Politik gibt es keine Unterstützung. Ganz im Gegenteil.

Mattea Weihe (28) ist Crewmitglied der „Sea-Watch 3“. Eigentlich ist die zivile Seenotrettung nicht ihr Job, sagt sie. Trotzdem rettet die Studentin als Cultural Mediator Menschen, die übers Mittelmeer fliehen aus der Seenot. Ein Job, für den eigentlich die EU verantwortlich wäre. Im Interview erzählt die Lüneburgerin von ihren Missionen an Bord der „Sea-Watch 3“, den Herausforderungen und warum sie trotzdem den Mut nicht verliert.

Was ist deine Aufgabe an Board?

Als Cultural Mediator bin ich die erste Kontaktperson für die Geflüchteten in Seenot. Das kann man sich so vorstellen: Wenn wir eine Nachricht bekommen, dass ein Boot in Seenot ist, lassen wir zwei Schnellboote ins Wasser und fahren zu dem Boot in Seenot. Der Cultural Mediator übernimmt den ersten Kontakt und versucht herauszufinden, ob alle bei Bewusstsein sind und wie viele Kinder und Schwangere anwesend sind. Die Menschen, die wir dann an Bord der „Sea-Watch 3“ nehmen, bezeichnen wir als Gäste. Bis wir an Land sind achte ich darauf, dass es allen soweit wie möglich gut geht und dann verweisen wir die Menschen auf weitere Organisationen.

Wie läuft eine Mission ab?

Der Missionszeitraum ist immer vier Wochen lang. Die ersten Tage gestalten sich mit Trainings am Land, dann sind wir drei Wochen auf See. An Bord der „Sea-Watch 3“ sind wir 22 Personen – Offiziere, Maschinisten, aber auch Verantwortliche für unsere Gäste. Die Verantwortlichen verteilen Essen oder Decken und achten ­– neben den Ärzten – darauf, dass es allen gut geht. Wir versuchen immer eine Crew für vier Wochen an Bord zu haben, aber aufgrund von politischen Änderungen in den letzten Jahren ist das leider nicht immer möglich, weil wir nicht immer in Häfen einlaufen dürfen oder die Gäste nicht an Land bringen können.

„Erst handelt die EU nicht und dann erfahren wir nicht mal Unterstützung.“

berichtet Mattea

Was ist die größte Herausforderung in der Seenotrettung?

Die europäische Politik. Die europäischen Staaten sind darin gescheitert, Menschen zu retten, die sich auf der Flucht vor Krieg in Boote übers Mittelmeer setzen. Deshalb gibt es die zivile Seenotrettung. Das ist eigentlich nicht mein Job, das ist der von europäischen Küstenwachen. Gleichzeitig erfahren wir von der EU sehr wenig Unterstützung. Wir werden zum Beispiel darin gehindert, die Geflüchteten rechtzeitig an Land zu bringen. An Land müssen wir extrem viele politisch motivierte Maßnahmen über uns ergehen lassen, wie Security Checks oder Festnahmen. Oft dürfen wir aus absurden Gründen nicht wieder auslaufen. Das ist die größte Herausforderung. Als erstes handelt die EU nicht und dann erfahren wir nicht mal Unterstützung.

Was erwartest du konkret von der EU?

Als erstes muss es eine staatliche Seenotrettung im Mittelmeer geben, die nicht auf Rückführungen nach Libyen oder in andere unsichere Länder ausgelegt ist. Wir brauchen eine humane Rettung, die allen Menschen die gleichen Rechte gibt. Außerdem braucht es in der EU einen neuen Umgang mit Asylverfahren, mit Menschen, die nach Europa kommen. Wir brauchen konkrete Taten einer EU, die die Menschenrechte achtet.

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Was kann jeder Einzelne tun, wenn die EU offensichtlich nicht ihrer Verantwortung nachkommt?

Wir müssen Informationslücken schließen und über das Thema reden. Wir müssen uns bewusstwerden, dass wir in einem unsolidarischen Europa leben. Wir müssen alle dazu beitragen zu verstehen, dass wir in Europa, wie in den USA, in stark rassistischen Strukturen leben, die sich auch darin äußern, dass schwarze Menschen auf Flüchtlingsbooten nicht nach Europa kommen sollen. Ich glaube da gilt es, miteinander zu reden und Druck aufzubauen wo man kann, sei es in der Schule, am Küchentisch mit der Familie, in der Uni oder auch bei den Lokalpolitiker*innen. Ich glaube, viele Menschen in der EU sind nicht einverstanden mit der europäischen Politik. Es gibt mir Mut, dass es viele gibt, die diese Probleme nicht hinnehmen wollen und sich für Menschenrechte einsetzen.

Zur Person

In ihrem Studium der Islamwissenschaft lernt die 28-jährige Mattea Weihe arabisch. Mit ihrem Wissen gab sie Geflüchteten Deutschunterricht und beschloss 2017, dass sie aktiv in der Seenotrettung werden möchte. Wenige Monate später, im Mai 2018, fuhr sie auf ihre erste Mission.

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Kategorien Flüchtlinge Gesellschaft Politik

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