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Setzen, Sechs, Frau Scheeres!

In der zehnten Klasse prophezeite uns meine Lehrerin für Studienorientierung mit unheilschwangerer Stimme einen bevorstehenden Lehrermangel. Ich hielt das für einen Trick, um uns in diesen Studiengang zu locken. Aber schon damals reichten ein paar Klicks, um Statistiken aufzuspüren, die einen solchen Trend – vor allem für Grundschulen – bestätigten. Das ist jetzt fünf Jahre her, einen Lehramtsmaster also. Und gerade wurden Zahlen veröffentlicht, bei denen jedem Abc-Schützen das Alphabet im Halse stecken bleibt: Mehr als 800 qualifizierte Lehrkräfte fehlen in diesem Jahr allein an Berliner Grundschulen. Das ist umso dramatischer, als durch Flüchtlingskinder die Zahl der Grundschüler um ein Vielfaches ansteigen wird. Natürlich drängt sich die Frage auf, wie es überhaupt zu diesem Defizit kommen konnte. Am mangelnden Interesse seitens der Studienbewerber liegt es jedenfalls nicht.

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Margarethe Neubauer ist mit der Arbeit unserer Bildungssenatorin sehr unzufrieden. Foto: Gerd Metzner

Im vergangenen Semester bewarben sich fast 2 000 Interessierte an der Humboldt-Uni für Deutsch an Grundschulen. Es gab aber nur 117 Plätze. Wenn Berlin also händeringend Lehrer sucht, warum werden dann den Bewerbern bürokratische Steine in den Weg gelegt? Offenbar steckt hinter diesem Dilemma ein riesiges Organisationsleck. Denn es gibt keine Regelung, die den Universitäten vorschreibt, wie viele der geschaffenen Studienplätze welcher Schulform zugeteilt werden sollen. Sich darum zu kümmern, obliegt der Bildungssenatorin Sandra Scheeres. Ihre Rechtfertigung für ihr spätes Eingreifen: das unvorhersehbare Bevölkerungswachstum durch Flüchtlinge. Da mag etwas Wahres dran sein. Was die massenhafte Pensionierung älterer Lehrer angeht, fehlt dieser Überraschungseffekt jedoch gänzlich. Für diesen Mangel an Weitsicht hätte Frau Scheeres eigentlich eine Sechs verdient.

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Kategorien Flüchtlinge Klartext Politik Schulpolitik

Schreiben ist meine Neurose. Ich mache das wirklich nicht freiwillig. An pathologischer Schreibwut leide ich etwa seit meinem neunten Lebensjahr. Heute bin ich 24. Sie äußert sich in der übermäßigen Produktion von Texten, dabei reagiere ich sensibel auf gute Geschichten. Schreiben ist mein Plüsch–Airbag gegen Schleudertraumata im täglichen Gedankenkarussell, Weckglas für klebrig-süße Memoirenmarmelade und die doppelte Aspirin am Morgen nach einem exzessiven Empfindungsrausch. Ich habe eine Schwäche für Präpositionen mit Genitiv, Schachtelsätze und Ironie. In die Redaktion komme ich nur, weil es da umsonst Tee gibt.