Mit nichts als der Wartenummer in der Hand

Hunderte Flüchtlinge warten täglich vor dem Lageso auf ihre Registrierung. Unsere Redakteurin war vor Ort

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Sie hoffen auf Asyl. Ehrenamtliche versorgen die wartenden Flüchtlinge mit dem Nötigsten. Die Ärztekammer kritisiert die Zustände am Lageso und fordert ein Budget für Hygiene und Medikamente. Foto: SASCHA LÜBBE

Menschen strömen heraus und hinein, Kinder tollen herum, Essen wird verteilt. Von der Wiese schallen Kindergeschrei, Jubelrufe, Gemurmel und Weinen herüber. Als ich durch die Einfahrt des Landesamts für Gesundheit und Soziales, kurz Lageso, in Moabit gehe, fühle ich mich in meine Grundschulzeit zurückversetzt. Das riesige Gelände wirkt in all dem Getümmel wie ein Schulhof in der großen Pause. Ich passiere Familien, die am Wegesrand ein provisorisches Mittagessen veranstalten. Ein paar alte Frauen liegen gekrümmt unter einem Schatten spendenden Baum. Menschen, die vor einem Bus auf eine Tuberkuloseuntersuchung warten, schauen mich ausdruckslos an.
Ich bin auf der Suche nach Haus R. Dort kann man sich wochentags von 10 bis 18 Uhr melden, um Spenden abzugeben oder den Ehrenamtlichen des Projekts „Moabit hilft“ unter die Arme zu greifen. Das heißt Essen verteilen, Wasser zapfen, Müll aufsammeln, Kinder betreuen, Spenden annehmen und sortieren. Es gibt immer etwas zu tun. Drei Tage lang habe auch ich geholfen. Wenn man einmal hier war, fällt es schwer, nicht wiederzukommen.
Als sich die Zustände am Lageso zuspitzten, hat das soziale Projekt die Organisation und Koordination der humanitären Hilfe übernommen. Am 12. August war das, mit dem „ersten Hilferuf“, erzählt Christiane Beckmann, Pressekoordinatorin und Helferin der ersten Stunde. Bis zu 17 Stunden täglich ist sie damit beschäftigt, den Flüchtlingen einen menschenwürdigen Einstieg in ein neues Leben zu ermöglichen, während diese auf dem Amtsgelände darauf warten, registriert zu werden. Oft mit nichts als ihrer Wartenummer in der Hand.

Helfer am Ende ihrer Kräfte

Etwa acht Ehrenamtliche gehören zum harten Kern von „Moabit hilft“. Unterstützung bekommen sie von vielen Berlinern. Einige kommen nach ihrem Feierabend für ein paar Stunden vorbei, auch Rentner und Jugendliche helfen aus. Ihre Arbeit ist enorm wichtig.
Als ich Christiane am vergangenen Mittwochnachmittag bei ihrer Runde über den Hof begleite, ist es gerade einmal eine halbe Stunde her, dass sie und ihre Kollegin Diana alle Freiwilligen zusammengetrommelt haben, um eine Ansage zu machen: Nach den langen Verhandlungen mit dem Senat, die einem Kampf gegen Windmühlen glichen, haben die beiden klargemacht, dass Freitag, der 21. August ihr letzter Tag hier sei. Danach muss eine soziale Organisation übernehmen, die dafür ausgebildet ist, die dafür bezahlt wird. Eigentlich sollte das schon seit vergangenem Montag der Fall sein. Doch mehr als vier Mitarbeiter der Caritas waren es nicht, die man zusätzlich zum Lageso geschickt hatte.
Christiane grüßt einen Flüchtling beim Namen. Er wartet scheinbar schon seit Tagen auf eine Unterkunft. Sie erzählt mir, sie sei auch menschlich an ihre Grenzen gestoßen. Auf Geburtstagsfeiern oder triviale Gespräche habe sie keine Lust, wo hier doch so viel Wichtigeres zu tun sei. Da hätte sie ein schlechtes Gewissen. Etwa 1 400 Euro zahlen sie und die anderen täglich aus eigener Tasche, zum Beispiel, um Medikamente zu kaufen.
Wie es in den kommenden Tagen weitergeht? Christiane weiß es nicht. Jeden Tag kommen zwischen 1 000 und 1 500 Menschen zum Lageso. Das wird sich so schnell nicht ändern. Ohne professionelle Unterstützung seitens der Stadt kann es nicht weitergehen, muss es aber hoffentlich auch nicht. „Wir sind zu bekannt. Wir sind in aller Munde. Die müssen jetzt ran“, sagt Christiane.
Laura Patz, 21 Jahre

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Kategorien Politik

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