„Kaum Kenntnis vom Islam“

Der Leiter einer Beratungsstelle für ausstiegswillige Extremisten über die Arbeit mit jungen Dschihad-Kämpfern.

Jugendliche in Deutschland haben heute das Glück, ziemlich sicher nicht in den Krieg zu müssen. In den vergangenen Monaten war jedoch immer wieder von Schülern die Rede, die freiwillig in Kriegsgebiete reisen: junge Muslime, die sich radikalisiert hatten, und im Nahen Osten in den „Gotteskrieg“ ziehen wollen. Seit April bietet der Verein Violence Prevention Network, dessen Ziel es ist, religiösem Extremismus vorzubeugen, Hilfe für junge Muslime an, die aus der Islamisten-Szene aussteigen wollen. Auch besorgte Freunde und Verwandte können sich an sie wenden. Von der Arbeitsweise der neuen Beratungsstelle Kompass berichtet deren Leiter Thomas Mücke.
Herr Mücke, wie sieht die Präventionsarbeit des Violence Prevention Networks aus?

Wir sind an Berliner Schulen aktiv, um die religiöse Grundbildung zu vertiefen und interreligiöse Toleranz zu fördern. Denn viele gefährdete Jugendliche kennen sich kaum mit dem Islam aus und lassen sich deshalb manipulieren.

Thomas Mücke ist Projektleiter der neuen Beratungsstelle Kompass. FOTO: VPN/KLAGES
Thomas Mücke ist Projektleiter der neuen Beratungsstelle Kompass. FOTO: VPN/KLAGES

Gibt es neben fehlender Aufklärung weitere Faktoren, die junge Menschen für Extremismus anfällig machen?
Stark betroffen sind einsame Jugendliche mit tief greifenden Problemen, schulischem Misserfolg und fehlenden Zukunftsperspektiven. Häufig handelt es sich auch um Söhne, die ohne starke Vaterfigur aufwachsen. Aber auch Mädchen sind gefährdet, wenn sie das Gefühl haben, ihr Selbstbestimmungsrecht nicht nutzen zu können. Dann versprechen sie sich Anerkennung durch eine Heirat mit einem angesehenen syrischen Kämpfer.

Woran erkennt man, dass Jugendliche sich radikalisieren, und was kann man dagegen unternehmen?

Sie isolieren sich zunehmend. Jungen interessieren sich vermehrt für die Ideologie und tragen sie womöglich nach außen. Ihre Suchverläufe im Internet sind auffällig. Bei Mädchen gibt es oft kaum Anzeichen. Deshalb ist es sehr wichtig, genau hinzusehen und uns schnellstmöglich zu kontaktieren, etwa unter unserer Hotline. Das gilt nicht nur für Eltern und andere Erwachsene, sondern vor allem für Mitschüler, denen Verhaltensänderungen oft schneller auffallen.

Was kann man tun, wenn eine Radikalisierung bereits stattgefunden hat?
Zunächst muss man Jugendliche um jeden Preis überzeugen, nicht auszureisen. Sind sie erst einmal in Syrien, sterben die meisten Jungen im Dschihad. Die verheirateten Mädchen werden so stark überwacht, dass ihnen kein Hilferuf möglich ist.

Wie deradikalisieren Sie Jugendliche, und was tun Sie, um Rückfälle zu vermeiden?
Unterstützt durch die Sehitlik-Moschee in Berlin und eigene muslimische Mitarbeiter ermöglichen wir den jungen Menschen den Ausstieg aus der islamistischen Szene. Zudem gilt es, die Probleme im Leben der Betroffenen zu beseitigen, die zur Radikalisierung geführt haben. Sonst kann es schnell zu einem Rückfall kommen, vor allem wenn das extremistische Gedankengut noch in den Köpfen der Jugendlichen bleibt und man nicht mit ihnen darüber diskutiert.

Was muss sich an unserer Gesellschaft verändern, damit Ihre Arbeit weniger notwendig wird?
Der Islam darf keine pauschale Ablehnung erfahren, sonst werden fast alle jungen Muslime an den Rand der Gesellschaft gedrängt, was wiederum Raum für Radikalisierung schafft. Wir müssen auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt achten.

Interview: Aniko Schusterius, 19 Jahre, und Ben Marc, 19 Jahre

Die Hotline der Beratungsstelle
Kompass: 23 91 13 00

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Kategorien Extremismus Politik Welt

90er-Kid, Bücherwurm, Weltenbummler. Ich liebe Musik und das geschriebene Wort. Letzteres kann man von mir seit 2012 hier lesen. Meine große Leidenschaft gilt dem Theater, das mich mehr als alles andere fasziniert. Wenn ich durch die Straßen Berlins laufe, kommt mir das Leben vor wie eine Aneinanderreihung vieler kleiner Inszenierungen, deren Geschichten alle festgehalten werden wollen. So inspiriert mich unsere Hauptstadt stetig zu neuen Themen für unsere Seite.