„Ich hoffe, den Weg für andere zu ebnen“

Juliane Kuhn, 23 Jahre, absolviert ein Praktikum in Kanada. Foto: Privat

Studenten mit Behinderung haben bei der Suche nach Auslandspraktika Nachteile. Juliane Kuhn hat sich durchgesetzt


Mit acht Jahren wurde bei Juliane Kuhn Muskelschwund diagnostiziert. Seit ihrem 13. Lebensjahr sitzt sie im Rollstuhl. Nach dem Abi­tur begann sie, Psychologie und Heilpädagogik an der Katholischen Hochschule für Sozialwesen in Berlin zu studieren. Sie ist eine von wenigen Studenten mit Behinderung – an ihrer Uni die erste – die ihr Praktikum außerhalb von Europa absolvieren.

Juliane, du bist 23 Jahre alt und hast dich entschieden, für ein fünfmonatiges Praktikum nach Kanada zu gehen. Für Menschen mit Behinderung ist das heutzutage noch eine Seltenheit. Was hat dich dazu bewogen?


Ich hatte immer den Wunsch, ins Ausland zu gehen. Besonders die kulturellen Erfahrungen reizen mich sehr. Allerdings fehlte mir der nötige Anstoß. Eine Freundin ermutigte mich dann, das Studienpraktikum gemeinsam im Ausland zu verbringen. Auf der Suche nach einem außer­europäischen Land fiel unsere Wahl auf Kanada. Neben Skandinavien gilt Kanada als besonders behindertenfreundlich. Hinzu kommt, dass man sich auf Englisch verständigen kann und nicht extra eine weitere Fremdsprache lernen muss. Als meine Freundin überraschend ihr Studium abbrach, stand das Vorhaben kurz auf der Kippe. Ich entschied mich, trotzdem zu gehen.


Und wie ging die Planung weiter?


Ich suchte auf Assistenzbörsen im Internet nach einer Begleitung für den Aufenthalt. Die hohen Kosten und die Entfernung waren für viele ein Hindernis. Außerhalb des eigenen Freundeskreises jemanden zu finden, ist fast unmöglich. Nun wird eine gute Freundin mich begleiten. Schwierig war auch die Wohnungssuche: behindertengerecht und erschwinglich musste es sein und Platz für zwei Personen bieten. Durch Zufall wurde ich auf ein Appartement in Vancouver Island aufmerksam, wo ich Ende März einziehen werde.


Eine Vollzeitassistentin zu haben, heißt auch, dass sich alle Ausgaben verdoppeln. Wie steht es um die finanzielle Unterstützung?


All meine Stipendienanfragen bei Stiftungen blieben erfolglos mit der Begründung, ausschließlich Gruppenprojekte würden unterstützt, nicht aber Einzelpersonen. Für mich ist das unverständlich. Schließlich steht am Anfang einer Idee oft ein Einzelner. Hinzu kommt, dass nach sechs Wochen außerhalb Europas mein Pflegegeld wegfällt. Zwar unterstützt mich der deutsche akademische Austauschdienst (DAAD) finanziell – gemessen an den doppelten Kosten ist das allerdings nur ein geringer Teil, sodass ich vieles aus eigener Tasche bezahle.


Was genau wirst du in Kanada machen?


Ich werde in einem Zentrum für selbstbestimmtes Leben arbeiten, einer Beratungsstelle für Menschen mit Behinderung. Ich hoffe, dort neue Konzepte für die Arbeit mit Menschen mit Behinderungen kennenzulernen. Kanada ist in diesem Bereich Vorreiter und sieht Behinderungen als Besonderheit statt als Makel an – ein Prozess, der in deutschen Köpfen erst noch angestoßen werden muss. Mit meinen Erfahrungen hoffe ich, einen Beitrag für das Umdenken leisten und den Weg für andere ebnen zu können.


Interview: Hannah Vahlefeld, 
19 Jahre

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Kategorien Politik

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