Über kaum eine Serie wurde zuletzt so heftig gestritten wie über die Netflix-Jugendserie „Tote Mädchen lügen nicht“. Nun hat der Streaming-Dienst die zweite Staffel bestätigt. Schade. Ein Kommentar.
Hannah Baker (Katherine Langford) wird von ihren Mitschülern gemobbt. Sie begeht Selbstmord. Vor ihrem Tod hat die Schülerin Kassetten aufgenommen, auf denen sie ihr Leben erzählt und die 13 Gründe für ihren Selbstmord benennt. Sie sendet die Aufnahmen an ihre Mobber, die sie sich bis zum Ende anhören müssen. Hannah ist da bereits tot.
Die Netflix-Serie basiert auf dem Bestseller-Roman von Jay Asher „13 Reasons why“, den ich 2010 gelesen habe. Nachdem ich nun die 13 Folgen der von Hollywoodstar Selena Gomez produzierten Serie gesehen habe, brach ich in Tränen aus. Die verstörenden Szenen, besonders in den letzten beiden Folgen, setzten mir extrem zu.
Wiederholt sind Sexszenen zu sehen, darunter eine, in der die Protagonistin vergewaltigt wird. Dieser Moment, in dem man Zeuge davon wird, wie ein Mensch innerlich bricht und aufgibt, hat sich in mein Gedächtnis eingebrannt. Das ist pervers. Mehrere Tage lang verfolgen mich die Bilder. Auch die detaillierte Darstellung, wie sich Hannah umbringt, indem sie sich die Pulsadern aufschlitzt, hätte ich lieber nicht gesehen.
Verfechter der Serie argumentieren, es sei gut, dieses ernste Thema provokant anzusprechen. Da stimme ich ihnen prinzipiell zu. Aber „Tote Mädchen lügen nicht“ ist definitiv der falsche Weg.
Auch ich war Opfer von Mobbing, wie viele andere auch. Allein in Deutschland werden jährlich mindestens 1,5 Millionen Schüler gemobbt. Ich kenne Opfer, bei denen die Attacken perfider waren als die, denen die Protagonistin Hannah Baker ausgesetzt war. Diese Jugendlichen suchen Personen, mit denen sie sich identifizieren können. Und da treffen sie auf diese Serie. Kein schöner Gedanke. Denn eine Lösung wird ihnen nicht geliefert. Auch die Tatsache, dass sich einer der 13 Schuldigen mit einem Kopfschuss das Leben nimmt, nachdem er Hannahs Kassette gehört hat, dürfte wohl niemandem helfen.
Die Serie hinterlässt einen bitteren Nachgeschmack, besonders bei jemandem, der selbst auf der Hot or Not-Liste seiner Schule stand. Man weiß, dass viele Mobbingopfer mit dem Gedanken spielen, sich umzubringen – auch, um den Tätern eine Lektion zu erteilen. „Tote Mädchen lügen nicht“ unterstützt genau dieses Bild. Durch den eigenen Tod wird ihnen ihre Schuld vor Augen geführt. Könnte das nicht eine Selbstmordwelle verursachen, wie damals Goethes „Leiden des jungen Werthers“? Dass man auf das Thema Mobbing aufmerksam machen möchte, ist eine gute Idee. Allerdings ist diese Serie der absolut falsche Weg dafür. Denn die Botschaft, dass Selbstmord keine Lösung ist, kommt nicht bei mir an.