Young Euro Classic ist ein Schulprojekt in Kooperation mit dem Internationalen Literaturfestival Berlin.

Young Euro Classic: Berliner Schüler*innen schreiben bewegende Texte über Europa

Strauchtomaten, Äpfel und Himbeeren

von Hager El Nakschabandi

„Yallah-Yallah“, ruft mein Vater mir zu.
In diesem Menschengewimmel verliert man sich schnell. Überall Gedrängel. Wettkampf um die beste Ware.
Strauchtomaten – das Kilo für 1,99 Euro. Mit einem freundlichen „ Salam Aleikum“ steuert mein Vater auf den Verkäufer zu. Ein älterer Mann. Er trägt schwarze Lederhandschuhe. Drückt meinem Vater eine Tüte in die Hand und sofort fangen sie an zu
reden: „Wie geht’s dir, Bruder“ fragt der Mann. „Alhamdulilah. Und dir? Wie geht’s deinen Händen?“ Seine Hände? Woher weiß mein Vater was mit seinen Händen ist? Man sieht die doch gar nicht.
Ich höre, ehrlich gesagt, kaum zu. Schaue mich lieber weiter um. Denn obwohl ich so gut wie jeden Samstag auf diesem Wochenmarkt in der Crellestraße bin, gibt es immer neue Sachen zu sehen. Diesmal ist es ein Stand mit arabischen Süßigkeiten, wie z.B. Maamoul: ein bröseli-ger Keksteig mit einer Dattelfühlung innendrin, einfach großartig!

Jetzt will mein Vater zum nächsten Stand, der Tomatenverkäufer ruft ihm nach, er solle ge-sund bleiben. Hier gibt es Äpfel, das Kilo für 1,50 Euro. Der Verkäufer: ein junger Mann, schwarz. „Bitteschön, Bruder“, sagt er zu meinem Vater.

Obwohl das hier ein reiner Konkurrenzkampf um die Kunden ist, nennen sie sich alle Brü-der, singen und lachen gemeinsam. Brüderlichkeit, Nächstenliebe und Vertrauen werden gepflegt. Einer der Gründe, warum der Markt so begehrt ist.
Nächster Verkäufer, wieder etwas älter. Zwei Packungen Himbeeren für einen Euro. Beim Bezahlen fragt der Mann, woher mein Vater kommt. Die Antwort: Irak.

Wenn ich in den Irak fliege, schlägt mir als erstes die warme Brise entgegen, die einen fast erstickt. Sie löst sich auf in der Offenheit und Herzlichkeit der gesamten Familie, den Late-Night-Talks, den Übernachtungen bei meinen Cousinen und dem Wechsel zwischen deren und unserem Haus. Im „Dukan“ kaufe ich mir jeden Tag Tonnen von Süßigkeiten und Chicken Nuggets.

Nach vier Wochen Irak fehlt Deutschland dann aber doch: Meine Freunde, mit denen ich auf offener Straße jeglichen Quatsch machen kann, das funktionierende Internet, die Sprache, das Brot, die Wurst.

Familie habe ich auf beiden Seiten. Beide Länder sind meine Heimat. Es ist ein tolles Gefühl, wenn wir in den Irak fliegen – aber auch, wenn wir dann nach Deutschland zurückkommen. Ich kann das schwer beschreiben, aber es verschafft mir ein Gefühl von Wohlbefinden, Ge-borgenheit und Zufriedenheit.

Und dann stehe ich wieder auf dem Markt in der Crellestraße. Oder, wie ich ihn nenne: dem “Yallah-Yallah-Markt”. Hier treffen jeden Samstag Menschen aus allen möglichen Kulturen aufeinander. Von der einen Seite höre ich „ya salame taal“, in der anderen „Do we need to-matoes”? Und von den Verkäufern wird gerne mal ein türkisches Ständchen gesungen.

Es ist die Fülle an Menschen, die Akzeptanz und die Liebe, welche mich an den Irak erinnern. Dieser Markt bringt mir ein kleines Stück Heimat in meine andere Heimat.

Selbst wenn es nur für 15 Minuten ist.

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