Interview

„Die Realness wird total überschätzt“ – Kraftklub im Interview

„Keine Nacht für Niemand“ – das neue Kraftklub-Album ist gerade die wirksamste Koffeintablette in der Pop-Apotheke. Uns haben die Chemnitzer ein sehr ausgeschlafenes Interview gegeben.

Kurze Augenringbilanz: Wie viele schlaflose Nächte hat euch die LP denn gekostet?
Felix: Eigentlich sind wir ganz vorbildliche Arbeiter. Wir gehen früh ins Studio und sind abends um 19 Uhr wieder draußen. Das Problem war nur, dass wir das Album in Berlin aufgenommen haben. Hier sind die nächtlichen Versuchungen so groß.
Karl: Im Studio gab es zum Glück ein schönes Sofa, auf dem man ein Mittagsschläfchen halten konnte. Wir sollten mal einen Kalender rausbringen, wie wir darauf schlafen, es gibt etliche Fotos.

Gleich der erste Titel strotzt nur so vor Selbstbewusstsein. Eure Fans sollen euch anbeten. Habt ihr etwa zu viel mit Audio88 und Yassin abgehangen oder wo ist das charmante Hänger-Image hin?
Felix: Die ganze vermeintliche Authentizität ist fortgewischt! Aber klar, das kommt nicht zufällig. Wir haben auf den ersten beiden Alben davon gesungen, was wir so selber erlebt haben. Jetzt wollten wir nicht nochmal die gleichen Geschichten erzählen. Wir haben angefangen, uns viel mehr in Rollen zu versetzen und viel freier ranzugehen. Sowohl musikalisch als auch textlich. Das funktioniert schon im ersten Song: Die Einswerdung des Popstars mit dem Sektenführer.

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Element of Crime, Deichkind, die Ärzte.. Euer Album steckt voller Referenzen. Farin Urlaub ist sogar selbst darauf zu hören und – bei genauem Ohrenspitzen – auch Tarek von K.I.Z. Warum habt ihr euch gerade von diesen Künstlern inspirieren und unterstützen lassen?
Steffen: Wir haben die eigentlich alle bloß ins Studio gelockt und dann gesagt „Hey, jetzt wo Du schon da bist…“
Karl: Von Farin Urlaub sind wir einfach alle große Fans und wollten den mal kennenlernen, deswegen haben wir ihn gefragt, ob er uns besuchen möchte.
Felix: Irgendwann haben wir den Ehrgeiz entwickelt, eine Platte zu machen, auf der mehr oder weniger alle drauf sind, die uns beeinflusst oder begleitet haben in den letzten Jahren. Wegbegleiter und große Inspirationsquellen. Wir haben ja nie einen Hehl daraus gemacht, dass wir Fans sind von anderen Musikstilen und Künstlern. Einige Sachen kann man auch erst beim dritten oder vierten Mal Hören entdecken, das finden wir schon ganz reizvoll.

Die „Realness“ ist das am meisten überschätzte Gut in der Popmusik überhaupt. Es geht ja in erster Linie um die Kunst.

Müsst ihr bei so vielen musikalischen Neuerungen, Geschichten und Querverweisen nicht langsam um eure –entschuldigt den Terminus– „Realness“ als Pop-Band fürchten? Falls es das in dem Genre überhaupt gibt..
Felix: Die Realness ist das am meisten überschätzte Gut in der Popmusik überhaupt. Die ist nur interessant für irgendwelche Youtuber, deren ganze Existenz darauf fußt, authentisch zu sein. Im Gangster-Rap zum Beispiel ist es noch viel unwichtiger. Es interessiert mich gar nicht, ob Kollegah wirklich Kokain dealt oder nicht.
Karl: Echte Gangster können meistens ja auch nicht so gut rappen. Und echte Rapper können nicht gut gangstern.
Felix: Es geht ja in erster Linie um die Kunst. Und wenn jemand eine Geschichte gut erzählen kann, ist mir das viel wichtiger. Dazu passt eins meiner Lieblingszitate von Kurt Hustle: „Ein Gangster-Rapper ist kein Gangster  – oder ist ein Müllmann Müll?“

In dem Lied „Venus“ heißt es mit lässiger HipHop-Attitüde „Ich gebe keinen Fick“. Woraus besteht das dicke Fell, mit dem ihr euch gegen den Hate schützt?
Felix: Ich kenne keinen Menschen, dem wirklich komplett egal ist, was andere von ihm halten – außer vielleicht Kanye West. Aber die Shitstorms, die wir bisher erlebt haben, waren alle nicht besonders kreativ. Die haben immer „ihr seid“ mit t geschrieben und so. Es gab aber mal Leute, die ein Bild gepostet haben, dass sie sich die CD gekauft haben, nur um sie zu zerhacken. Wenn man uns wirklich wehtun will, dann so.

Die Fans halten uns frisch, damit wir uns immer neue Sachen ausdenken. In ihren Gesichtern sehen wir dann, die wissen, dass ich den Witz schon letzte Woche gebracht habe.

Und wie steht ihr mittlerweile zur Gegenseite – Fans, die eure Biographie auswendig können und in Bettwäsche schlafen, auf die euer Gesicht gedruckt ist?
Felix: Wir überzeichnen das in unserem Song „Fan von Dir“ ja grotesk. Tatsächlich haben wir im Vergleich zu anderen Musiker-Kollegen weniger Probleme. Vor meiner Tür hat jedenfalls noch nie jemand gecampt. Es gibt nur Leute, die fahren uns nach bei Konzerten.
Steffen: Da kriegen wir Angst, weil wir denken, die wollen uns umbringen, und dann sind’s doch nur Fans.
Felix: Das ist eher schmeichelhaft. Ich selber würde mir unsere Show die komplette Tour lang wahrscheinlich nicht angucken. Aber andere Leute haben als Hobby eben Skifahren und fahren immer den gleichen Berg runter. Das könnte man genauso langweilig finden. Solche Leute halten uns frisch, damit wir uns immer neue Sachen ausdenken. In ihren Gesichtern sehen wir dann, die wissen, dass ich den Witz schon letzte Woche gebracht habe.

Wenn ihr hier durch Kreuzberg bummelt, fallt ihr wahrscheinlich ohnehin nicht besonders auf. Ist das Zuhause in Chemnitz anders?
Felix: Ach, in Chemnitz ist das ähnlich. Es gab eine kurze Phase der Aufregung, als wir berühmt geworden sind. Was völlig verständlich ist, wenn Leute, die Du vom Partymachen und von der Straße kennst, plötzlich im Fernsehen kommen. Aber selbst, wenn ich neben dem Papst wohnen würde – wenn ich den zweimal beim Bäcker sehe, ist es irgendwann auch egal. In Chemnitz quiekt niemand, wenn wir durch unser Stadtviertel laufen.

Ihr seid ja selbst auch mal als Fans auf Konzerten unterwegs. Geht es da geradewegs in den Moshpit oder eher so Kopfnicken am Rand?
Felix: Das ist bei mir komplett unterschiedlich.
Steffen: Kommt darauf an, wie viel er getrunken hat.
Felix: Und natürlich abhängig von der Band. Bei Tim Bendzko bin ich auf jeden Fall im Moshpit. Ich bin aber kein Musikliebhaber-Konzerttyp. Mir reicht es nicht, hinten zu stehen und zu genießen, ich muss schon rein. Und irgendwie mitgenommen werden. Aber ich habe immer ein schlechtes Gewissen, weil ich so groß bin und den Leuten die Sicht nehme.
Steffen: Ich mag das Gedränge nicht, wenn kein Platz ist, quetsch’ ich mich doch nicht nach vorn.
Felix: Wir haben in unserer freien Zeit in Berlin jedenfalls viele andere Bands gesehen. Das war inspirierend. Einfach weil man denkt, das will ich auch wieder machen. Wir haben übelst Bock auf unsere Tour!

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Wie sieht es denn mit dem Partyleben in Berlin aus – habt ihr das während der Aufnahmen hier auch genossen?
Steffen: Ich habe eine 100 Prozent-Quote im Berghain. Bin bisher immer reingekommen. [Anm. d. Red.: Genau ein Mal] Es war aber ein bisschen enttäuschend. Du wartest so lange, gehst da rein und nach einer halben Stunde ist die Euphorie verflogen.
Felix: Mein größtes Problem ist, das mir der Zugang zu elektronischer Musik fehlt. Ich gebe mir immer wieder Mühe, aber das löst in mir nicht die Emotion aus wie bei den anderen. Das ist dann wohl eher Gitarrenmusik und HipHop.
Steffen: Man kann da auch gar nicht mitsingen.
Karl: Und bei dem Techno-Kram fehlt mir das Gesellige. Da ist jeder für sich, alle sind vollgeballert.

Apropos: Die Drogenszene scheint euch ja wirklich beschäftigt zu haben. Ich höre da gefühlt in jedem zweiten Song irgendwelche Anspielungen..
Felix: Wir haben ein sehr ambivalentes Verhältnis zu harten Drogen. Einerseits habe ich eine sehr liberale Einstellung dazu. Ich finde Verbote generell unsympathisch. Aber gerade in Chemnitz, wo es ein krasses Crystal Problem gibt, wird man nah damit konfrontiert, mit wie viel Scheiße und Leid das zusammenhängt. Interessant ist auch, dass Kokain gerade so angesagt ist. Die hippen Öko-Berliner ziehen ganz selbstverständlich eine Line, aber wenn der Kaffee nicht fairtrade ist, dann gibt’s nen Riesenaufstand. Für in Indien produzierte Nike-Schuhe wird man geächtet, aber in der Drogenproduktionskette leiden die Menschen. Das ist einfach ein interessantes Thema. Es muss nicht immer alles selbst erlebt sein.

Foto: Philipp Gladsome

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Kategorien Interview Konzerte Kultur Musik

Schreiben ist meine Neurose. Ich mache das wirklich nicht freiwillig. An pathologischer Schreibwut leide ich etwa seit meinem neunten Lebensjahr. Heute bin ich 24. Sie äußert sich in der übermäßigen Produktion von Texten, dabei reagiere ich sensibel auf gute Geschichten. Schreiben ist mein Plüsch–Airbag gegen Schleudertraumata im täglichen Gedankenkarussell, Weckglas für klebrig-süße Memoirenmarmelade und die doppelte Aspirin am Morgen nach einem exzessiven Empfindungsrausch. Ich habe eine Schwäche für Präpositionen mit Genitiv, Schachtelsätze und Ironie. In die Redaktion komme ich nur, weil es da umsonst Tee gibt.