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Woher kommen diese Klein-Kapitalisten, die aus ihren Festival-Tickets Profit schlagen wollen?

Der Schwarzmarkt für Festival-Tickets boomt – und im Kleinanzeigen-Haifischbecken ist kein Platz für Seifenblasen und Zuckerwatte. Kein Herz für Ticket-Ticker! Ein Kommentar.

Katastrophe in zwei Worten (engl.): „sold out“. Wäre die Festivalplanung ein Kreuzworträtsel, brächen hier die Bleistiftminen. Verschwitzt, verpasst, zu lang gezögert. Wenn auf der Website des musikalischen Ausflugsziels plötzlich der gefürchtete Sticker prangt, bedeutet das zumeist: Panik! Und die Eröffnung des Ticket-Schwarzmarktes. Der boomt auch hier in Berlin.

In diesem Jahr muss ich mich selbst daran beteiligen und mich von zwei Karten für das Feel-Festival trennen. Eine mittelgroße Veranstaltung, die im Juli Liebhaber von elektronischer Musik und Indie-Pop an den Bergheider See lockt. Alles bunt, alles ganz familiär.

Als Neuling in den einschlägigen Ticket-Tauschbörsen beobachte ich zunächst das Markttreiben: Die Zahl der verzweifelt Suchenden übertrifft die Zahl der Anbietenden um ein Vielfaches. Doch wie ich sind einige arme Seelen am Festival-Wochenende verhindert. Da wird man sich mit den Kärtchen sicher schnell einig. Wir sind ja alle eine große, glückliche, Musik liebende Familie. Sharing is caring und Seifenblasen.

Im Kleinanzeigen-Haifischbecken ist von der sozialen Zuckerwatte auf dem Festival-Gelände allerdings wenig zu merken. Hier bestimmen Angebot und Nachfrage das See-Klima. Und das ist rau. Irgendwo in Neukölln stehen zwei Tickets zum Verkauf, zusammen kosten sie 300 Euro. Pro Stück ist das ein Fünfziger mehr als der Originalpreis. Ist dieser Aufschlag etwa die Erleichterung für das „schwere Herz“, mit dem die Ticket-Besitzerin die ihrigen abgeben muss?

„Der Preis ist so hoch angesetzt, weil teilweise echt so viel dafür ausgegeben wird.“

Eine plausible Antwort liefert da eine Anbieterin aus Tempelhof, die für die gleiche Summe ein Einzelticket verkaufen möchte: „Der Preis ist so hoch angesetzt, weil teilweise echt so viel dafür ausgegeben wird.“ Ach, so ist das. Logisch. Aber auf einem guten Markt darf natürlich gehandelt werden. Deshalb heißt es weiter: „Schreibt mir einfach eure Preisvorschläge. Nichts unter
 200 Euro.“

Vielleicht habe ich da etwas falsch verstanden. Sind Festivals wie das Feel nicht ein Ort, an dem wir in einer gleichgesinnten Community den Strukturen des Alltags entfliehen? Woher also kommen dann diese Klein-Kapitalisten, die aus ihren Tickets Profit schlagen wollen – einfach, weil sie es können?

Dass sie mit ihrem privaten Abzock-Geschäft anderen Festivalfreunden die Laune verderben, ist diesen Leuten offenbar egal. Sie fahren ja sowieso nicht hin. Zum Glück. Denn wer so eine Ego-Nummer abzieht, neben dem möchte sicher niemand am See herumtanzen.

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Schreiben ist meine Neurose. Ich mache das wirklich nicht freiwillig. An pathologischer Schreibwut leide ich etwa seit meinem neunten Lebensjahr. Heute bin ich 24. Sie äußert sich in der übermäßigen Produktion von Texten, dabei reagiere ich sensibel auf gute Geschichten. Schreiben ist mein Plüsch–Airbag gegen Schleudertraumata im täglichen Gedankenkarussell, Weckglas für klebrig-süße Memoirenmarmelade und die doppelte Aspirin am Morgen nach einem exzessiven Empfindungsrausch. Ich habe eine Schwäche für Präpositionen mit Genitiv, Schachtelsätze und Ironie. In die Redaktion komme ich nur, weil es da umsonst Tee gibt.