Jenseits von Discogehopse

„Kellerkinder“ heißt die Produktion des Ensembles Tanzzeit aus Berlin, die sich mit verbaler Gewalt und verrohter Jugendsprache auseinandersetzt Foto: Marion Borriss
„Kellerkinder“ heißt die Produktion des Ensembles Tanzzeit aus Berlin, die
sich mit verbaler Gewalt und verrohter Jugendsprache auseinandersetzt
Foto: Marion Borriss
Die Berliner Festspiele veranstalten in diesem Jahr zum ersten Mal ein Tanztreffen der Jugend

Von Julien Hoffmann, 20 Jahre

Der Vorhang öffnet sich. Eine Menschenmasse in weißen Ganzkörperanzügen bewegt sich völlig im Einklang und in roboterhafter Weise zu mystischer Musik. Es sind traumartige Szenen, die sich hier abspielen. Das Geschehen wirkt übernatürlich. Live miterleben kann man es vom 27. August bis 1. September im Haus der Berliner Festspiele. Dort, wo seit vielen Jahren das Theatertreffen der Jugend, das Treffen junger Autoren und das Treffen der jungen Musikszene zu den renommiertesten Veranstaltungen der Jugendkulturszene in Berlin gehören, findet in diesem Zeitraum erstmals ein Tanztreffen der Jugend statt.


Sieben Tanzensembles aus ganz Deutschland reisen dazu an. Aus rund 60 Bewerbern wählte eine Jury sie aus. Im Zentrum der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Veranstaltung stehen die Arbeit mit Jugendlichen sowie das Ziel, den Tanz als Kunstform innerhalb der kulturellen Bildung zu etablieren. „Es ist jetzt höchste Zeit, auch im Bereich Tanz ein Forum für die Jugend zu schaffen, auf dem sie sich künstlerisch ausdrücken kann“, meint Christina Schulz, Leiterin des Bundeswettbewerbs der Berliner Festspiele. 


Themen Tanzen

Angesprochen waren in dem Bewerbungsaufruf vor allem Schulklassen, Tanz-AGs an Schulen, freie Gruppen sowie an Theater angebundene Ensembles. Formale oder stilistische Vorgaben gab es nicht, weshalb von Parkouring und Tricking über Hip-Hop bis hin zu ausschließlich aus Improvisation entstandenen Tanzstilen fast alle zeitgenössischen Bewegungsformen vertreten sind. Der Fantasie seien keine Grenzen gesetzt gewesen, verrät Kadir Memis, Mitbegründer der Breakdancegruppe Flying Steps und Choreograph der Berliner Gruppe Tanzzeit, die mit dem Stück „Kellerkinder“ auftritt. „Was den Tanz angeht, habe ich mir immer viele Freiheiten genommen. Ich gucke mir gerne die Situation in einem Raum an und versuche dann, bestimmte Gesten und Gefühle einzufangen, um so den Tanz einfach entstehen zu lassen.“ Für kreative Ansätze wie diesen habe der Wettbewerb Raum gelassen, lobt er.

„Cage“, die Produktion der Saarbrücker Jugendtanzgruppe iMove, beschäftigt sich mit großen Themen – es geht unter anderem um innere Zwänge. Foto: Messky Mo Photographie
„Cage“, die Produktion der Saarbrücker Jugendtanzgruppe iMove, beschäftigt
sich mit großen Themen – es geht unter anderem um innere Zwänge.
Foto: Messky Mo Photographie


Inhaltlich geht es in den Aufführungen um die in Tanz ausgedrückten Lebenswirklichkeiten von Jugendlichen. Themen, zu denen Jugendliche einen ganz konkreten Bezug haben, wie Erwachsenwerden oder Gruppenzwang, stehen im Vordergrund. Aber auch Dinge, mit denen sie wenn sie älter werden, anfangen müssen, sich auseinanderzusetzen, etwa Krieg und politische Verfolgung, werden behandelt. Und sogar vor sehr abstrakten Problemen schrecken die Ensembles nicht zurück. So befassen sich die Berliner Tänzer unter der Leitung von Kadir Memis unter anderem mit der Verrohung der Jugendsprache. Ben Hasan Al-Rim, einer der Darsteller sagt dazu: „Die verbale Seite der Gewalt wird so gut wie nie thematisiert. In unserem Stück sehen wir deshalb eine Möglichkeit, aufzustehen und zu dem Thema endlich mal den Mund aufzumachen.“


Neben den Darbietungen sind auch der Austausch zwischen den einzelnen Gruppen und die Weiterentwicklung der eigenen Fähigkeiten ein Ziel der Veranstaltung. In diesem Zusammenhang soll das „Campus“-Programm mittels Workshops und Diskussionsrunden den insgesamt 88 Tänzern die Möglichkeit geben, sich auszutauschen und dabei sowohl von der Erfahrung der leitenden Choreographen als auch voneinander zu profitieren. Für die Teilnehmer ist das neben dem Auftritt auf der großen Bühne der zweite Höhepunkt des Tanztreffens. „Ich freue mich unheimlich darauf, den anderen zu begegnen“, sagt Ben Hasan Al-Rim.


Im Käfig der Zwänge


„Für die Jugendlichen ist das eine Chance, einmal zu sehen, wie andere Künstler arbeiten und trainieren, um sich so auch selbst besser kennenzulernen“, sagt das Jurymitglied Martina Kessel. 
Eröffnet wird das Tanztreffen von der Jugendtanzgruppe des Balletts des Saarländischen Staatstheaters „iMove“ aus Saarbrücken. Ihre Inszenierung „Cage“ setzt sich mit Fragen nach Konformität, also dem Funktionieren in der Gemeinschaft, und inneren Zwängen auseinander. Wer nun also neugierig geworden ist, wie man Angst oder die Zugehörigkeit zu einer größeren Gruppe tänzerisch darstellen kann, oder einfach die akro­batischen Leistungen der Künstler bewundern möchte, hat ab Ende August beim Tanztreffen der Jugend Gelegenheit dazu. 



Vom 27. August bis 1. September treten jeden Abend unterschiedliche Ensembles auf. Das Programm findet ihr unter www.berlinerfestspiele.de. Karten sind bereits im Vorverkauf erhältlich. Sie kosten 8, ermäßigt 5 Euro. Weil die Berliner Produktion „Kellerkinder“ kleiner ist, kostet sie 6, ermäßigt 4 Euro.
„Kellerkinder“ heißt die Produktion des Ensembles Tanzzeit aus Berlin, die sich mit verbaler Gewalt und verrohter Jugendsprache auseinandersetzt.
„Cage“, die Produktion der Saarbrücker Jugendtanzgruppe iMove, beschäftigt sich mit großen Themen – es geht unter anderem um innere Zwänge.

Das könnte Dich auch interessieren

Kategorien Kultur Lifestyle Top-Thema Über den Tellerrand

Auf spreewild.de berichten wir über alles, was uns bewegt – über Schule, Politik und Freizeit, Liebesglück und -kummer oder den Schlamassel mit der eigenen Zukunft. Wir bieten Hintergrundgeschichten zu den Artikeln, die wir auf der Jugendseite veröffentlicht haben, stellen Fotos und Videos ins Netz. Dazu gibt es die Fotoserien der Jugendredaktion, Musik-, Buch- und Filmbesprechungen sowie all die Fragen, die uns die Prominenten jede Woche stellen.